Sonntag, 7. Juni 2009

Memories: Die Vergessenen vom Song Contest (1)

Deutschland - Weil ich es in Zeitschriften und dergleichen ziemlich demütigend finde, wenn über dem Bild eines ehemals erfolgreichen Künstlers steht "Was macht eigentlich...?" steht, bekommt diese neue Kategorie den Namen "Memories", inhaltlich ist es das Gleiche, aber es klingt netter.

Den Anfang macht eine Sängerin, die nach ihrem schlechten Abschneiden beim Song Contest in Kiew 2005 den Satz prägte: "Lieber ein letzter als ein vorletzter Platz, an den erinnert man sich nächstes Jahr wenigstens noch." Da ist etwas Wahres dran, oder fällt Ihnen so spontan der Vorletzte von Kiew ein? Bis auf Eurovisionsfans wird wohl kaum jemand wissen, dass die französische Sängerin Ortal mit "Chacun pense à soi" grade mal sieben Punkte mehr hatte als Gracia.

Bekannt wurde Gracia dem breiten Publikum natürlich durch ihre Teilnahme an der ersten Staffel von "Deutschland sucht den Superstar", das Format war in Deutschland brandneu, das ganze Land saß gespannt vor dem Fernseher, und die Show machte durch Teilnehmer auf sich aufmerksam, die musikalisch etwas drauf hatten und sich nicht in der BILD öffentlich anzickten.
Bei DSDS sorgte sie mit "Memory" aus dem webber'schen Musical "Cats" bei Dieter Bohlen für, Zitat: Elefantenpickel und bei Daniel Küblböck bei ihrem Ausscheiden für einen medienwirksamen Heulanfall. Trotz ihres - nur - fünften Platzes wurde sie von BMG unter Vertrag genommen und produzierte das erste Album "Intoxicated", welches sich Ende 2003 bis auf #10 der Albumcharts nach vorne kämpfte. Ihre ausgekoppelte Single "I don't think so" erreichte sogar #3 in den Singlecharts.

Nach Gastauftritten in der Krankenhausserie St. Angela und nachdem sie auch den Soundtrack zum Disney-Film "Bärenbrüder" gesungen hatte, kündigte ihre Plattenfirma 2004 den Vertrag aufgrund von schlechten Verkaufszahlen. Wenig später wurde sie von David Brandes und seinem Label BrosMusic unter Vertrag genommen. Produziert wurde die Single "Run and hide", die sich in der ersten Woche nach ihrem Erscheinen auf #20 Platz in den deutschen Singlecharts platzierte.

Ab hier streiten sich die Musikexperten bis heute. Wie Gracia in einem damaligen Interview selbst sagte war, "das Kriterium für den letzten freien Startplatz, dass eine deutsche Produktion in den Top 40 landet. Das hab? ich mit meiner Single ?Run and Hide? geschafft. Es hat mich natürlich wahnsinnig gefreut, dass ich damit gleich auf Platz 20 in den Charts eingestiegen bin."
Den Vorentscheid gewann Gracia mangels starker Konkurrenz mit 52,8% im Duell gegen das Siegel-Duo Marco Mathias und Nicole Süßmilch, die sich noch aus DSDS-Zeiten kannten. Beide Titel stammten aus der Feder von Bernd Meinunger. Bereits kurz nach dem Vorentscheid sorgte eine Meldung des Sat 1.-Magazins Akte 05 für den Skandal.

"Der Musikproduzent von Gracia und den Vanilla Ninjas, David Brandes, ist in den Verdacht geraten, die Chartplatzierungen seiner Künstler durch den gezielten Aufkauf von Hunderten CDs manipuliert zu haben. Der Redaktion von Akte 05 liegen Kassenquittungen vor, die darauf schließen lassen, dass für die Single-CD "When the indians cry" der Gruppe Vanilla Ninja gezielt Aufkaufaktionen vorgenommen wurden. Ein Aufkäufer der CDs versicherte gegenüber Akte 05, dass er regelmäßig CDs im Auftrag von Bros Music, der Plattenfirma von David Brandes, erworben habe.", so die Pressemeldung von damals. 


Auf Bitten der Akte-Redaktion untersuchte die Media Control GmbH, welche im Auftrag des Bundesverbandes der Phonographischen Wirtschaft die Auswertung der deutschen Singlecharts übernimmt, das entsprechende Kaufverhalten. Die Geschäftsführerin Ulrike Altig erklärte damals jedoch: "Von Media Control wurden Manipulationsversuche erkannt. Die entsprechenden Verkäufe gingen aber nicht in die Chart-Ermittlungen ein." Zum Skandal entwickelte sich die gezielte Chartmanipulation trotzdem. 


So startete die BILD eine Offensive gegen Gracia um ihre Teilnahme am Eurovision Song Contest zu verhindern. Selbst ein offener Brief von mittlerweile auch in Vergessenheit geratenen Künstlern forderte Gracia auf, nicht nach Kiew zu fahren. Der NDR hielt jedoch auch nach den aufgeflogenen CD-Käufen an ihr fest: "Gracia bleibt die Vertreterin Deutschlands beim Eurovision Song Contest in Kiew, da sie die Zuschauerabstimmung im deutschen Vorentscheid mit deutlicher Mehrheit gewonnen hat. (...) Unabhängig davon ist die Korrektheit der Zuschauerentscheidung durch eine nachträgliche Überprüfung der Firma digame bestätigt worden, die im NDR Auftrag die Abstimmung per Telefon und SMS organisiert hat.", so der damalige Delegationsleiter Jürgen Meier-Beer.
Brandes erklärte später bei Johannes B. Kerner im ZDF, dass sein Handeln branchenüblich sei und er seiner Künstlerin einen Nachteil verschafft hätte, wenn er keine CD-Käufe getätigt hätte. Andere würden dies schließlich auch im großen Stil tun, genannt wurde u.a. der Name Jeanette Biedermann, die sich später einen Schlagabtausch mit Gracia lieferte. 

Als Konsequenz wurde David Brandes später pro forma aus der deutschen Delegation für den Eurovision Song Contest ausgeschlossen. Er saß während der Veranstaltung in der Schweizer Ecke und freute sich mit Vanilla Ninja, mit denen er auch noch im Rennen war, über den achten Platz mit "Cool vibes". 


Gracia selbst, deren Single "Run and hide" sogar für drei Monate aus den deutschen Charts verbannt wurde, fand sich nach einer skandalumwitterten Vorbereitungszeit und einem versemmelten Anfangston abgeschlagen, mit jeweils zwei Punkten aus Monaco und Moldawien auf 24. Platz wieder. Deutschlands bis heute schlechtestem Ergebnis.
Unmittelbar nach dem Finale in dem Helena Paparizou fast 58x mehr Punkte einfuhr als Deutschland an dem Abend, sagte Gracia: "Jede Niederlage bringt mich auch ein Stück nach vorn." Im Gegensatz zu Vanilla Ninja setzte Gracia aber ihre Zusammenarbeit mit Brandes fort. Dieser befand sich nach dem ESC wegen einer Berufungsklage aufgrund der Chartsperre vor Gericht.
Nachdem sich die Gemüter beruhigt hatten, die BILD mit ihrer Kampagne, sich die GEZ-Gebühren von der ARD aufgrund der schlechten Unterhaltung beim ESC 2005, zurückzuholen, gescheitert war und Jürgen Meier-Beer in Folge des desaströsen Abschneidens seinen Hut als Delegationsleiter nahm, veröffentlichte Gracia im Oktober 2005 die Single "When the last tears been dried".
Im Februar 2006 folgte noch eine weitere Single-Auskopplung aus dem Album "Passion" ("Never been" platzierte sich auf #39) und Ende 2006 die Single "Cos I believe" in Zusammenarbeit mit dem Ex-Frontmann der Soultans, Marvin Broadie alias Xantoo.
Seitdem ist es um Gracia sehr ruhig geworden, nur noch wenige Male bekam man sie im Fernsehen zu Gesicht, etwa vor dem Bluescreen für die Ultimative Chartshow oder beim großen Wiedersehen mit anderen DSDS-Teilnehmern auf Mallorca. Wie man ihrer Homepage entnehmen kann, tritt Gracia heute nur noch gelegentlich bei Liveveranstaltungen auf, so sang sie gestern beispielsweise bei der Eröffnung eines Reiterhofs in Hohentengen.
Ein neues Album, wie von BrosMusic vor etwa einem Jahr angekündigt, ist bis heute leider nicht erschienen. Die Website der Plattenfirma wurde seit 2006 allerdings auch nicht mehr aktualisiert. Von dem neuen Album, dass BrosMusic seit April 2008 ankündigt, gibt es seitdem auch keine neuen Informationen.
Auf Anfrage vom Oktober 2008 heißt es: "Leider können wir noch nichts genaueres zu dem neuen Album sagen, lassen Sie sich überraschen! Es wird wie immer sehr vielseitig. Ein VÖ-Termin steht momentan noch nicht fest." Da nun inzwischen schon wieder acht Monate vergangenen sind, wage ich aber zu bezweifeln, dass dieses Album jemals auf den Markt kommen wird...
Ihre bislang letzte Single "Never been" (2006)