Dienstag, 22. November 2022

Eurovision 2023: Neue Wertungsregeln in Liverpool


Europa
- Die Europäische Rundfunkunion ist bekannt dafür, dass sie das Regelwerk des Eurovision Song Contests in den nunmehr fast 70 Jahren regelmäßig auf den Prüfstand stellt, neue Dinge einführt, alte Dinge verändert und immer wieder neue Wege geht, um den Wettbewerb interessant zu gestalten oder zumindest Richtlinien und Bestimmungen aktuell zu halten. So verhält es sich auch mit dem Eurovision Song Contest 2023 in Liverpool. Die Reference Group hat erneut das Votingsystem geändert.

Gleich mehrere Aspekte am Voting werden modifiziert, beginnend in den Halbfinals. Bislang war es so, dass in allen drei Shows das Konzept des 50%igen Jury- und Televotings gab. Die Juroren aller teilnehmenden Länder fällten sowohl in den Halbfinals als auch im Finale ihr eigenes Urteil und machten 50% des nationalen Ergebnisses aus. Das fällt mit Liverpool 2023 flach, das Juryvoting wird in den Halbfinals abgeschafft. Lediglich die Zuschauer entscheiden zu 100% per App oder Televoting, welche zehn Länder es über die Vorrunde hinaus ins Finale schaffen.

Damit kehrt man in dieser Sicht zum Stand von vor 2008 zurück, damals entschieden ebenfalls lediglich die Zuschauer, welche zehn Länder ins Finale einziehen. Für das Finale greift diese Bestimmung fortan allerdings nicht, dort werden weiterhin Musikexperten und Jurymitglieder 50% des Ergebnisses ausmachen. Hierfür wird weiterhin jedes Land einzeln aufgerufen und die Juryergebnisse auf's Tableu geworfen. Damit bleibt die Punktevergabe, wie wir sie z.B. in Turin erlebt haben, erhalten. Zunächst werden die Jurys aufgerufen und im Anschluss das Televotingergebnis peu á peu ergänzt.

Die Europäische Rundfunkunion teilt zudem mit, dass erstmals auch Zuschauer außerhalb der teilnehmenden Nationen am Voting mitwirken können. Dafür gibt es ein gebündeltes "Rest of the World"-Voting, das als eine separate Länderwertung zählt. Mit Hilfe einer Online-Plattform, sollen Zuschauer außerhalb der teilnehmenden Länder per Klick und mit Hinterlegung der Kreditkartendaten die Möglichkeit erhalten, für ihren Favoriten abzustimmen. Dieses "Rest of the World"-Voting kommt sowohl im Halbfinale als auch im Finale zum Einsatz.

Supervisor Martin Österdahl erklärte in einer Stellungnahme, dass man den Zuschauern weiterhin das Erlebnis einer spannenden Votingsequenz bieten möchte und der Gewinner nach wie vor erst mit der letzten Punktevergabe feststehen wird. Es blieb jedoch offen, welche Länder am "Rest of the World"-Voting angeschlossen werden und welche nicht. Bezüglich der Auswirkungen auf das Teilnehmerfeld im Finale erklärte er, dass aus Sicht des Wettbewerbs in Turin nur minimale Änderungen aufgetreten wären. So hätten sich in den Halbfinals z.B. Albanien und Zypern statt der Schweiz und Aserbaidschan qualifiziert.

Wie jede Änderung des Wertungsverfahrens hat auch diese Neuerung Vor- und Nachteile. Die Abschaffung der Juroren im Halbfinale sorgt zum einen dafür, mögliche und offensichtliche Absprachen, wie es sie etwa in Turin gegeben haben soll, zu unterbinden und den Zuschauern wieder das Gefühl "Power to the people" zu geben. Dass sich dadurch nun wieder vermehrt osteuropäische Nationen qualifizieren, was 2009 zur Einführung der Juroren geführt hat, wird die Zeit zeigen, in den letzten Jahren gab es hierfür jedoch keinerlei Anhaltspunkte.

Durch die Einführung der "Rest of the World"-Wertung erschließt die Europäische Rundfunkunion zudem einen größeren Markt an zahlungswilligen Zuschauern. Nationen die seit Jahren nicht mehr teilnehmen, aus welchen Gründen auch immer, erhalten die Gelegenheit, dennoch Einfluss auf das Endergebnis zu nehmen, wie es z.B. 2006 bei Serbien-Montenegro der Fall war, das sich erst nachträglich vom Wettbewerb zurückzog, aber dennoch seine Punkte mittels Televoting platzieren konnte. Ob dieses Prinzip angenommen wird, werden wir in Liverpool erleben.

Zudem scheint die Abschaffung der Juroren im Halbfinale ein Beweis des guten Willens zu sein, etwa das türkische Fernsehen gnädig zu stellen. TRT kritisierte über Jahre hinweg das Juryvoting und blieb dem Wettbewerb seit 2013 fern, da die bisher stets reichlich geflossenen Diaspora-Stimmen eingedämmt wurden. Ob die Änderung zu einem Comeback oder der Absage anderer Nationen führen wird, bleibt ebenso abzuwarten. Zumindest wird es beim Eurovision Song Contest nicht langweilig und wie jede Änderung der letzten Jahre, sind wir erst nach Veröffentlichung der Details im Mai schlauer und können Schlüsse auf mögliche Wertungsunterschiede ziehen.