Sonntag, 6. November 2016

Eurovision am Sonntag (51)



Europa - Die britische Presse sorgt sich um die Ausrichtung des Eurovision Song Contests 2017, es geht, wie so oft, ums Geld. Der Telegraph meldet in seiner Online-Ausgabe, dass Russland bereits in den Startlöchern steht, den Wettbewerb zu übernehmen, sollte die Ukraine dazu nicht in der Lage sein. Diese Blöße wird sich die Ukraine allerdings kaum geben.

Als Jamala im Mai den Song Contest gewann warfen viele Seiten der Ukraine einen politischen Sieg vor, die Thematik des Siegertitels "1944" war so sensibel und aktuell, dass man behauptete, die Juroren und Zuschauer hätten aus politischem Kalkül entschieden, um Russland für seine Politik eins auszuwischen. Dies ist nicht belegbar, kann aber auch nicht ausgeschlossen werden. Der Eurovision Song Contest war immer ein Stimmungsrohr für europäische Politik, auch wenn die EBU gebetsmühlenartig erklärt, der Wettbewerb sei vollkommen unpolitisch.

Jamala brachte den ESC
zurück in die Ukraine
Nun jedenfalls haben die ersten Zweifel an der Durchführbarkeit der Eurovision in der Ukraine. Der Weggang von Zurab Alasania, dem Generaldirektoren von NTU, hat dazu beigetragen, die Frage zu stellen, wie das alles funktionieren soll. Alasania erklärte, er werde bis zur Benennung eines neuen Direktoren die Zusammenarbeit mit der EBU und der Organisation des Wettbewerbs weiterführen, fragt sich jedoch selbst, wie NTU mit dem zur Verfügung stehenden Budget eine Vollversorgung im normalen Programmablauf gewährleisten soll.

Das Parlament der Ukraine bewilligte das Senderbudget für das kommende Jahr, NTU müsse den Song Contest aber ebenso mit diesen Geldern finanzieren. Aufgrund dessen zog Alasania die Reißleine und verabschiedete sich aus der Senderspitze. Die Europäische Rundfunkunion wird in der kommenden Woche nach Kiew reisen und sich von den Fortschritten der Planungen überzeugen. Danach wird feststehen, ob die EBU am Sieger von 2016 festhält oder doch einen Plan B aus der Tasche zaubern wird.

In den Anfängen des Eurovision Song Contests kam es häufiger vor, dass der Wettbewerb nicht, wie festgeschrieben, im Gewinnerland des Vorjahres stattfand. Monaco beispielsweise hatte nach dem Sieg von Séverine keine Möglichkeit den Wettbewerb auszurichten, aus Platzgründen, es stand keine Location zur Verfügung und so musste Monaco die Ausrichtung abgeben, Luxemburg verzichtete ebenfalls einmal auf die Ausrichtung, aus Kostengründen. Zuletzt fand der Wettbewerb 1980 nicht im Gewinnerland des Vorjahres statt.

Profitierte von der Absage
Israels: Samira Bensaid (1980)
Am 19. April 1980 wurde die Eurovision aus Den Haag in den Niederlanden gesendet, obwohl Israel mit "Hallelujah" den Titel einsackte. Die israelische IBA sah sich jedoch außerstande, den Wettbewerb zweimal nacheinander auszurichten. Noch dazu fiel der Termin mit dem Gedenktag Yom haZikaron zusammen, sodass es zu der einmaligen Situation kam, dass der Sieger seinen Titel nicht verteidigen konnte bzw. wollte. Es öffnete sogleich dem marokkanischen Fernsehen die Türen für den Wettbewerb, schließlich war Israel nicht mit dabei.

Später ließen sich die Siegernationen es sich nicht nehmen, den Song Contest im eigenen Land auszurichten, wenngleich sie häufig an ihre finanziellen Grenzen stießen. Vor allem die Iren konnten ein Lied davon singen, verschlang die Eurovision in den 90er Jahren Millionen, nachdem die irischen Interpreten dreimal in Folge den Song Contest heim holten. Irland kam nach 1997 nicht mehr in den Genuss der Ausrichtung, langfristig gesehen, hat RTÉ durch seine wenig zeitgemäßen Titel in den 2000ern wohl einiges an Geld gespart.

Marko Matvere und Annely
Peebo, Moderatoren 2002
In den 2000ern tourte die Eurovision auch kreuz und quer durch Europa. 2001 gewann mit Estland erstmals ein Land, das bis Anfang der 90er noch hinter dem Eisernen Vorhang versteckt lag. Das kleine Land, das gerade einmal 1,4 Millionen Einwohner hatte, stellte sich diesem Mammutprojekt und richtete ihn in der, erst im November zuvor eröffneten Saku Suurhall in Tallinn aus. Gab es im Vorfeld kritische Stimmen, insbesondere zynische Bemerkungen von BBC-Kommentator Terry Wogan ("Ich weiß gar nicht wo dieses Tallinn liegt, haben die da Hotels?"), zeigte sich Estland innovativ und als großartiger Veranstalter.

Heute findet in der Saku Suurhall der nationale Vorentscheid Eesti Laul statt, dessen Popularität mehr und mehr wächst. Der Eurovision Song Contest war dort, zumindest für seine Zeit, gut aufgehoben, in London, Paris, Amsterdam oder München wäre er genauso abgelaufen, aber die Esten haben sich den Wettbewerb nicht abnehmen lassen wollen. Ebenso hat das serbische Fernsehen RTS sein Vorrecht im Jahr 2008 wahrgenommen. Die Ausrichtung in Belgrad kollidierte mit der einseitigen Unabhängigkeitserklärung des Kosovos.

Gewann auf serbischem
Boden: Dima Bilan (2008)
Zweifel kamen auf, ob Belgrad ein sicherer Ort für ein so große Unterhaltungsshow ist, während man nur wenige Kilometer weiter über den völkerrechtlichen Status der Provinz Kosovo im dunkeln tappt. Auch Belgrad erwies sich als guter Gastgeber und absolvierte sogar erstmals in der Geschichte des Wettbewerbs zwei Halbfinals und eine große Finalshow ohne nennenswerte Probleme. Nun ist eben wieder die Ukraine Gastgeber des Wettbewerbs und man sollte den Organisatoren vor Ort vertrauen, dass sie alles tun, um die Show zu einem unvergesslichen Ereignis werden zu lassen.

Klar ist Kiew nicht Stockholm, Wien oder Kopenhagen, aber trotz des Chaos, dass uns die Ukraine regelmäßig beschert, sollte man ein gewisses Grundvertrauen in die Ausrichtung legen. Der Song Contest ist in Osteuropa genauso gut aufgehoben wie in Westeuropa, vielleicht sogar besser, wenn man sich einmal die Aufzeichnungen von Rom 1991 anschaut. Ich bin auf jeden Fall sehr gespannt auf den Wettbewerb 2017 in der Ukraine und glaube kaum, dass sich die Ukraine diese einmalige Werbeplattform abnehmen lässt, schon gar nicht vom russischen Fernsehen.