Freitag, 22. Januar 2010

Deutschland: Die Pressekonferenz zu "Unser Star für Oslo"


"Wir sind die Trümmerfrauen des Grand Prix"

Deutschland NDR und ProSieben haben am Donnerstagabend auf der Reichstagskuppel in Berlin den Ablauf und weitere Details von "Unser Star für Oslo", den deutschen Vorentscheid 2010, präsentiert. Matthias Breitinger war für uns dabei.

Der Grand Prix ist höhere Mathematik: 7, 5, 8 - mit diesen drei Zahlen wartet NDR-Programmdirektor Volker Herres auf, als ARD und ProSieben am Donnerstagabend den Modus des diesjährigen deutschen Vorentscheids zum Eurovision Song Contest in Oslo vorstellen. Die Ziffern stehen für die Erfolge von Stefan Raab beim Wettbewerb: 7. Platz mit Guildo Horn 1998, 5. Platz beim eigenen Auftritt 2000 mit "Wadde hadde dudde da" und ein 8. Platz für Max Mutzke in Istanbul.

Schnell ist jedem klar, welch hohe Erwartungen die ARD in den ProSieben-Entertainer gesetzt hat: Nichts anderes als eine Ziffer 4 folgt in der obigen Zahlenreihe. Dieser Platz soll also in Oslo für Deutschland herausspringen. Der Druck ist somit groß, doch Raab lässt sich im weiteren Verlauf des Abends nichts anmerken. Er dämpft allerdings die Hoffnungen der versammelten ARD-Granden. "Wenn Sie beim Eurovision Song Contest weit vorn landen wollen, ist das vielleicht das falsche Konzept", räumt Raab freimütig ein.

Es gehe weniger darum, aus einem ESC-Baukasten das Lied zu basteln, das es schafft, ganz Osteuropa für sich einzunehmen und zugleich dem deutschen Publikum zu gefallen. Das sei womöglich etwas vermessen - lieber will Raab den Vorentscheid im eigenen Land ernsthaft betreiben, wie er sagt, und zugleich emotionalisieren. Auf dass die Nation bis Ende Mai voll hinter dem Künstler und dem Lied stehen möge.

Überhaupt: ernsthaft betreiben, diese Redewendung wird an dem Abend mehrfach strapaziert. Nicht ohne einen gewissen indirekten Seitenhieb auf "Deutschland sucht den Superstar" sagt Raab, man wolle in den acht Shows von "Unser Star für Oslo" den Kandidaten das Gefühl geben, "dass man sie ernst nimmt". Gefragt nach den Kriterien, nach denen man die 20 Kandidaten ausgewählt habe, antwortet Raab, man habe nach Leuten gesucht, die die Sache mit "einer gewissen Ernsthaftigkeit" angehen, aber doch Spaß an der Sache haben, die "sängerisches Talent" mitbringen und auch "ein Fünkchen Charisma" haben.

Womit wir beim Modus wären: Zum deutschen Vertreter für Oslo sollen also acht Shows führen, "in denen die Zuschauer mit den Kandidaten warm werden können", wie Raab erklärt. Zunächst habe eine Jury aus Vertretern von ProSieben, NDR und den beteiligten ARD-Radiosendern aus den mehr als 5000 gecasteten Musikern 20 Kandidaten (die Geschlechterverteilung ist ausgeglichen) für die Show ausgewählt. Zu den Castings seien durchaus auch "schon bekannte Leute" angetreten, doch da habe man jetzt auf "bestimmte Künstler" verzichtet. Namen fallen - natürlich - nicht.

In den ersten beiden Vorrunden (2. und 9. Februar, jeweils 20.15 Uhr, ProSieben) treten je 10 Kandidaten an und zeigen vor Jury-Präsident Raab und jeweils wechselnden Mitjuroren ihr Können. Die Jury kommentiert die Künstler – doch die Entscheidung, welche 5 von den je 10 in die nächste Runde kommen, fällen allein die TV-Zuschauer per Abstimmung.

Somit landen 10 Kandidaten in der 3. Show (16. Februar, 20.15 Uhr, ProSieben). Dort kommen 8 weiter. In der 4. Show (23. Februar, 20.15 Uhr, ProSieben) scheiden von den 8 weitere zwei aus. In der 5. Show (2. März, 20.15 Uhr, ProSieben) muss ein weiterer Kandidat seine Hoffnungen auf Oslo begraben – nun sind noch 5 Musiker im Rennen. Diese dürfen nun im Viertelfinale (5. März, 20.15 Uhr, ARD) wieder ihr Talent präsentieren, einer fliegt raus. Das Halbfinale (9. März, 20.15 Uhr, ProSieben) mit vier Kandidaten reduziert das Teilnehmerfeld nunmehr auf zwei. Die müssen nun den Zweikampf im Finale (12. März, 20.15 Uhr, ARD) bestehen – nur einer kann schließlich nach Oslo.

Ein Ablauf also, der ein wenig "DSDS" ähnelt. Mit zwei Unterschieden: Die Kandidaten sollen singen dürfen, was sie gern möchten, wie Raab betont. Und die Jury wechselt, nur er als Chefjuror ist der Fixpunkt. Ihm ist es gelungen, eine illustre Riege der deutschen Musikszene für das Wettrennen zu gewinnen. Die Liste liest sich fast wie ein Who is Who: Schon in der ersten Show sitzen Yvonne Catterfeld und Marius Müller-Westernhagen mit Raab am Jurytisch. Eine Woche später sind es Sarah Connor und Peter Maffay, die die Auftritte bewerten. Weitere Juroren sind Barbara Schöneberger, Ich+Ich-Sänger Adel Tawil, Sasha, Xavier Naidoo, Jan Delay, Joy Denalane, Silbermond-Sängerin Stefanie Kloß, Cassandra Steen und Reamonn-Frontmann Rea Garvey.

Man merkt es Raab an: Nicht ohne Stolz verkündet er, wen er alles für "Unser Star für Oslo" anlocken konnte. Nach dem Debakel mit dem intern ausgewählten Projekt "Alex Swings, Oscar Sings" im Vorjahr schwingt da sicherlich ein gewisses Gefühl der Überlegenheit gegenüber dem Partner mit. Man hat die Pressekonferenz über ohnehin das Gefühl, dass die ARD an dem ganzen Projekt nur als Abnicker beteiligt ist. Was einen anwesenden Journalisten zu der Frage an Raab verleitet, wie sehr bei der ganzen Sache denn die ARD störe. Die Shows sind ganz offensichtlich eine Komplett-Produktion der Raab-Showschmiede Brainpool, und man ist versucht zu glauben, die ARD ist nur rein zufällig mit im Boot.

Zwar hält NDR-Programmchef Herres zu Beginn eine kleine Rede, in der er die Wahl des Ortes für die Pressekonferenz, den Reichstag in Berlin, mit der "nationalen Aufgabe" begründet, bei der er (in Anspielung auf eine Rede Kaiser Wilhelms II. zu Beginn des Ersten Weltkriegs) keine Konkurrenten - sprich ProSieben - mehr kenne, "da kenne ich nur noch Deutsche". Raab wiederum spricht von einer "Liebesheirat" von ARD und ProSieben, "das können Sie ruhig so schreiben". Doch es ist ganz offensichtlich, wer in dieser Ehe die Hosen anhat. Im weiteren Verlauf, als Raab das Prozedere der Shows vorstellt, stehen Herres und ARD-Unterhaltungskoordinator Thomas Schreiber abseits neben der Bühne - schon diese Show auf dem Reichstag gehört Raab.

Und Matthias Opdenhövel und Sabine Heinrich. Die beiden werden die acht Vorentscheidungssendungen moderieren. Opdenhövel hat sich längst als Moderator von "Schlag den Raab" einen Namen gemacht, Sabine Heinrich ist bekannte Moderatorin des WDR-Radiosenders 1Live. So ist es das Trio Raab-Opdenhövel-Heinrich, das im Reichstagskuppel-Restaurant im Mittelpunkt steht. Auch weil Raab weiß, dass er nach dem schlechten Abschneiden Deutschlands beim ESC seit mehreren Jahren nun als der Hoffnungsträger für die ARD gilt. "Wir sind die Trümmerfrauen des Eurovision Song Contest", witzelt Raab, "die wieder blühende Landschaften aufbauen."

Doch welches Lied wird der "Star für Oslo" schließlich singen? Da hält sich Raab seltsam bedeckt. Klar ist: In der letzten Show am 12. März sollen die Zuschauer nicht nur aus den beiden Finalisten den Sieger wählen, sondern auch aus mehreren Liedern den Beitrag, der am 29. Mai Deutschland in Norwegen vertritt. Doch Raab räumt zugleich ein, er habe noch kein Stück dafür komponiert und er wisse auch noch nicht, ob er überhaupt eines einreichen werde. Er spricht lediglich von einem Pool aus Autoren, die Lieder schreiben sollen. Es sei ohnehin schwer, schon jetzt ein Lied zu komponieren, fügt Raab hinzu - es müsse ja ein Titel sein, der für einen der beiden Finalisten geeignet sei. Und Raab ergänzt: 2010 werde es wohl "eher mutzkig als hornig". Ach ja, wir erinnern uns: es geht ums ernsthafte Betreiben.

Doch es ist gut, dass es ganz so ernst an diesem Abend nicht zugeht. Zwar bemüht ARD-Herres sein Reden von der "nationalen Aufgabe" ein wenig allzu sehr, und ein Journalist drängt ihn auch noch zu erklären, dass die ARD immer noch am Eurovision Song Contest teilnehme, weil sie laut Rundfunk-Staatsvertrag nicht nur die Aufgabe habe zu informieren, sondern eben auch zu unterhalten.

Den lustigen Part überlässt Herres aber Raab, der den Erfolg von Alexander Rybak im vorigen Jahr auch mit seiner osteuropäischen Herkunft erklärt und dann grinsend hinzufügt: "Man müsste mal prüfen, ob unter unseren 20 Kandidaten ein Osteuropäer dabei ist. Oder wir machen dann seinen Namen osteuropäischer." Und auch nicht ganz ernst gemeint ist wohl auch Raabs Einschätzung, der deutsche ESC-Teilnehmer solle eine gut sitzende Frisur haben. Stimme allein sei andererseits auch nicht alles: "Jemanden, der gut singen kann, aber ein Vollidiot ist, will auf Dauer auch keiner haben."

Gelächter erntet schließlich auch der anwesende Max Mutzke, der natürlich sein "Can't wait until tonight" von 2004 präsentieren darf und darin eine Anekdote von einem Auftritt beim Bayerischen Fernsehpreis erzählt, wo er seinen Grand-Prix-Beitrag ebenfalls gesungen hat – und Ministerpräsident Edmund Stoiber sei in der ersten Reihe gesessen und habe das ganze Lied mit bayerischem Akzent mitgesungen. Mutzke trocken: "Man sieht, es gibt auch traurige Geschichten zu dem Song."