Montag, 7. April 2025

Kommentar: Ein Fürstentum ohne Sprachrohr


Liechtenstein
- Am Donnerstagabend ging ein Stückchen Mediengeschichte zu Ende. Im kleinen Fürstentum Liechtenstein wurde der Sendebetrieb von Radio Liechtenstein, dem einzigen öffentlich-rechtlichen Rundfunkprogramm im Land eingestellt. Vorangegangen war eine Volksabstimmung, die von der Kleinpartei Demokraten pro Liechtenstein initiiert wurde, die sich daran störte, dass der Sender einen Großteil der öffentlichen Medienförderungsgelder erhielt. Mit 55,4% wurde dieser Entscheid angenommen. Eine Privatisierung wurde angekündigt.

Das letzte Logo von
Radio Liechtenstein
Letztlich hat sich jedoch kein Investor gefunden, der den Sender übernehmen wollte, am 3. April um 18 Uhr verabschiedeten sich die Moderatoren mit hörbarer Wehmut und Tränen in den Augen von ihrer treuen Zuhörerschaft nach 30 Jahren. Nach dem Titel "The show must go on" von Queen verstummte auf der Frequenz das einzige Medium, das Kulturschaffenden im Land eine akustische Präsentationsfläche bot. Fortan müssen Verkehrsfunk, Ansprachen des Fürsten, lokale Diskussionen und ein Programm an Reportagen, Gesprächen und Musik des Landes aus anderen Quellen bezogen werden.

Am selben Tag noch versuchte die DpL mit einem Nachtragskredit einen temporären Sendebetrieb aufrecht zu erhalten, doch dies kam zu spät und hätte laut der Regierungsparteien Vaterländische Union und Fortschrittliche Bürgerpartei für Verunsicherung gesorgt. Somit endete der seit 1995 betriebene Rundfunkbetrieb im Fürstentum abrupt und unehrenhaft. Auf der Website des Senders laufen seither in Endlosschleife vereinzelte Songs mit Abschiedsworten der Moderatoren und Journalisten, die für Radio Liechtenstein tätig waren.

Hans-Adam II. muss seine
Reden nun über andere
Kanäle verbreiten
Gerade dieser Sender hatte sich zuletzt darum bemüht, über die Landesgrenzen hinaus aktiv zu sein und lotete eine mögliche Mitgliedschaft in der Europäischen Rundfunkunion aus, nicht nur um auch die Chance zu haben am Eurovision Song Contest teilzunehmen, wäre eine Kooperation mit dem TV-Sender 1FLTV zustande gekommen. Als öffentlich-rechtliche Anstalt hätte Radio Liechtenstein zumindest die Mitgliedskriterien erfüllt. Nunmehr existiert kein ÖR im Land, was zugleich internationale Beachtung fand. "Mit der Abschaltung endet ein bedeutendes Kapitel der Medienlandschaft Liechtensteins", heißt es auf der Website des Radiosenders.

Liechtenstein ist dabei ein aktuelles Beispiel von verunglücktem Aktionismus, zu Lasten eines unabhängigen und öffentlich-rechtlichen Rundfunks, der mittlerweile viele europäische Länder betrifft. Seit Jahren berichten wir über den Zwiespalt in dem sich der bosnische Rundfunk BHRT befindet, wo sich die Föderation Bosnien und Herzegowina und die Republika Srpska nicht auf eine Grundlage zum Gebühreneinzug verständigen können oder auch die Kürzung von Geldern in diversen anderen Ländern. Während es in Bosnien-Herzegowina zumindest regional noch einen ÖR gibt, ist die Geschichte in Liechtenstein mittelfristig beendet.

Glücklicherweise zählt der öffentlich-rechtliche Rundfunk in Deutschland zu den weltweit größten nicht-kommerziellen Rundfunkprogrammen, wenngleich auch hier immer wieder der Rotstift angesetzt wird. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde in der Bundesrepublik nach dem Vorbild der britischen BBC mit dem Aufbau des Nordwestdeutschen Rundfunks begonnen. Am 9. Juni 1950 wurde die ARD aus dem NWDR sowie den anderen Landesrundfunkanstalten des BR, HR, SDR, SWF und Radio Bremen gegründet, assoziiertes Mitglied war RIAS Berlin, der Hörfunk im Amerikanischen Sektor der Stadt Berlin. Letzterer spielte in der deutschen Geschichte eine bedeutende Rolle, richtete sich sein Programm nicht zuletzt auch an die Bevölkerung in der DDR, die dereinst in Formaten wie dem Hans Rosenthal-Quiz "Allein gegen alle" immer wieder als Mitteldeutschland betitelt wurde. 

Ein Berliner Original mit
enormen Verdiensten im
Rundfunk: Hans Rosenthal
Jenes Hörspielquiz, in dem ein Kandidat mit verzwickten Fragen Bürgermeister zur Verzweiflung brachte und Außenreporter wie Felix Knemöller Pionierarbeit für die spätere "Wetten dass..?"-Stadtwette leisteten. Eben jener Hans Rosenthal avancierte später zu einem der bekanntesten Moderatoren und machte sich mit Shows wie "Dalli Dalli" oder eben jenen Hörfunksendungen einen Namen. Am vergangenen Mittwoch wäre er 100 Jahre alt geworden. Im Zuge der Wiedervereinigung wurde RIAS Berlin in seiner ursprünglichen Bestimmung obsolet und ging später im Deutschlandradio auf. 
RIAS hat zu Zeiten des Kalten Krieges eine wichtige Rolle erfüllt, analog zu den Rundfunkanstalten in der Bundesrepublik Deutschland. 

Eigenmotto: "Eine freie
Stimme der freien Welt
"
RIAS Berlin
So hatten die Bewohner der ehemaligen DDR, wenngleich von der sozialistischen SED-Diktatur nicht toleriert, die Möglichkeit ein freies Medium zu hören. Das Hören und Sehen von westlichen Medien konnte zu ernsthaften Konsequenzen führen, etwa dem Verlust des Arbeitsplatzes oder weiteren staatlichen Schikanen. Dennoch ließen sich viele DDR-Bürger nicht davon abhalten, sich über RIAS zu informieren und sich über die staatliche Propaganda ihres Landes hinaus eine Meinung zu bilden. Das Fehlen solcher "freien Medien" und deren Ergebnis erleben wir heute wieder in Russland oder Belarus.

Die ARD gliedert sich heute in neun Landesrundfunkanstalten, nach der Wiedervereinigung kamen u.a. der MDR und der ORB, der in Fusion mit dem Sender Freies Berlin zum RBB wurde, hinzu. Die ARD und das 1963 gegründete ZDF, das zunächst von einem Bauernhofsgelände bei Eschborn sendete, ehe es zum Mainzer Lerchenberg umsiedelte, sind heute Vollmitglieder der Europäischen Rundfunkunion. Ihnen obliegt der Grundversorgungsauftrag, seit jeher gibt es Kritik und Diskussionen über eine ebensolche Notwendigkeit. Es wurde viel geklagt, geurteilt und philosophiert, am Ende gab es Reformpläne, die jedoch nicht in dem Maße zur Debatte stehen wie in Liechtenstein.

Dort hatte man das Schicksal des Liechtensteiner Rundfunks, zu dem auch Radio Liechtenstein zählt, per Volksentscheid zum Schafott geführt, ohne die Folgen für die lokale Bevölkerung abzuschätzen. Man könnte nun natürlich sagen, dass bedingt durch die Größe des Landes der Wegfall einer kleinen Radiostation keinen sonderlich großen Stellenwert einnimmt, für die Kultur eines Landes, egal wie klein es ist, hat eine solche Rundfunkanstalt jedoch eine enorme Relevanz. Gerade dort, wo auch private Unternehmen nicht in diese Nische einfallen und über Sport, Veranstaltungen und Kultur berichten, fehlt ein solches Medium umso mehr.

Dieser Traum ist erst
einmal ausgeträumt:
Liechtenstein beim ESC
Da spielt es auch keine große Rolle, ob Radio Liechtenstein es tatsächlich irgendwann geschafft hätte, der Europäischen Rundfunkunion beizutreten und die hoch angesetzten Ziele einer Teilnahme am Eurovision Song Contest zu verwirklichen. Vielmehr ist es das düstere Ergebnis von plakativen Maßnahmen, vermeintliche Verschwendung von Staatsgeldern einzudämmen. Für die Medienlandschaft in Liechtenstein ist der Wegfall des Radiosenders jedenfalls ein trauriger Tag. Nunmehr existieren mit dem "Vaterland" noch eine Tageszeitung und mit 1FLTV ein privat geführter TV-Sender mit Sitz in Schaan, der seit 2008 in Betrieb ist, der allerdings den Nachteil hat, gewinnorientiert arbeiten zu müssen.

Seitdem ich Eurofire betreibe und vor 17 Jahren die Meldung bei ESCtoday.com gelesen habe, dass 1FLTV auf Sendung geht, habe ich die Entwicklung des Rundfunks in dem kleinen Fürstentum verfolgt und hatte stets die Hoffnung, dass es eines schönen Tages möglich wäre, das verpatzte Debüt von 1976 in eine tatsächliche Teilnahme am Eurovision Song Contest umzuwandeln. Seit letzter Woche ist nun aber mehr als offensichtlich, dass es nicht nur einen neuen Rundfunk sondern nunmehr auch noch Gesetzesänderungen und weitreichende Reformen in der Medienpolitik des Landes braucht, ehe es irgendwann einmal "Vaduz calling" heißt. Diese Chance wurde am 3. April um 18 Uhr vorerst beerdigt.