Donnerstag, 26. August 2021

Kommentar: Der Protest der Angelica Agurbash


Europa
- Wenn man der bislang recht gut informierten italienischen Website Il Resto del Carlino glauben kann, dann könnten wir unseren Countdown in der rechten Spalte bereits am Montag aktivieren. Die Website meldet, dass sich die Verhandlungen und Gespräche der RAI mit den Organisatoren des Eurovision Song Contests in der finalen Phase befinden und man u.U. bereits am Montag mit der Bekanntgabe des Austragungsortes für den Eurovision Song Contest 2022 rechnen kann. RAI hatte die ursprüngliche Zahl der Bewerber bereits von 17 auf elf Städte verkürzt und in dieser Woche unter anderem die Landeshauptstadt Rom und das prestigeträchtige San Remo aus dem Rennen geworfen.

Fünf sind noch im Rennen
Fünf Städte, namentlich Bologna, Mailand, Pesaro, Rimini und Turin können sich noch berechtigte Hoffnungen machen, das Event in die eigene Stadt zu holen. Noch heißt es warten, die Weichen für die kommende Saison werden aber zeitnah gestellt. Dabei stehen im Anschluss, wie auch schon in Rotterdam vor allem Aspekte wie ein greifendes Sicherheits- und Hygienekonzept im Raum. Im kommenden Jahr müssen sich die Organisatoren mit neuen Voraussetzungen beschäftigen, etwa wer 2022 im Publikum der Liveshows sitzen kann bzw. darf. Während hierzulande über 2G und 3G entschieden wird, könnte es beim Eurovision Song Contest 2022 zu ähnlichen Überlegungen kommen. 

Mit diesen Fragen wird sich die gastgebende Stadt beschäftigen müssen, ebenso wie mit den üblichen Song Contest-Traditionen, etwa dem kulturellen Rahmenprogramm und den Shows selbst. In drei Wochen, am 15. September soll zudem die Deadline für interessierte Rundfunkanstalten enden. Die Nationen, die am Eurovision Song Contest 2022 teilnehmen möchten, müssen sich bis dahin auf die provisorische Teilnehmerliste der EBU eintragen lassen. Wie in jedem Jahr stehen hier noch diverse Rückmeldungen aus, nicht nur von Spätzündern wie Moldawien oder Armenien, das aller Voraussicht nach ein Comeback einläuten wird, sondern auch von Nationen wie z.B. dem Vereinigten Königreich, Irland oder Russland. 

Das Funkeln Monacos
wird wohl auch 2022 fehlen
Auch bleibt es interessant ob die Gespräche mit der TRT-Spitze erfolgreich waren oder Ungarns nationaler Rundfunk doch noch über seinen Schatten springen wird. Was hingegen feststeht ist, dass der Eurovision Song Contest wieder einmal auf die meisten Zwergstaaten verzichten muss. Während San Marino bereits an seinem wochenlangen Festival arbeitet, mit dessen Hilfe ein Kandidat für Italien 2022 ermittelt wird, stehen das Fürstentum Liechtenstein mangels EBU-Mitgliedschaft und Luxemburg aufgrund des Desinteresses von RTL auf der Liste der abgesagten Nationen. Auch Monaco dürfte sich in wenigen Tagen dazu gesellen... Genauso sicher dürfte das "Nein" aus Sarajevo sein, BHRT kämpft immer noch ums finanzielle Überleben.

Ebenfalls ausgeschlossen ist die Teilnahme von Weißrussland, nachdem die EBU den Sender BTRC aus der Union geschmissen hat. Im Land von Lukaschenko kursiert nach inoffiziellen Angaben übrigens eine Aufzählung von prominenten Gesichtern, Journalisten und Künstlern des Landes, die laut Wiwibloggs auf einer "List of banned artists" stehen, nachdem sie sich für die Opposition engagiert und ihre freie Meinung gegenüber den diktatorischen Strukturen im Land geäußert haben. Am 5. August wurde diese Liste erstmals über soziale Kanäle publiziert, darauf findet man eine Vielzahl von Künstlern und Gruppen, die auch mit dem Eurovision Song Contest in Zusammenhang gebracht werden können.

Verscherzten es sich erst
mit BTRC und dann
mit Lukaschenko: VAL
Auf der Liste findet man z.B. die Gruppe Litesound, Uzari, die Navi Band, das Duo VAL, die sich schon während der allerersten Proteste nach den Wahlen im August 2020 positionierten, sowie die beiden Junior Eurovision-Sieger Kseniya Sitnik und Aleksey Zhigalkovich. Hinzu kommen Vorentscheidungsteilnehmer wie Alexey Gross, Alen Hit, Max Lorens und die ehemaligen BTRC-Kommentatoren Evegeni Perlin und Denis Kurian. Besonders ins Auge sticht allerdings der Name Angelica Agurbash, die ebenfalls zu den "Verrätern der Republik Weißrussland" gehören soll. Angelica nahm 2005 mit "Love me tonight" im Halbfinale von Kiew teil, schied damals allerdings aus. 

Ihr damaliger Ehemann, der russische Oligarch Nikolai Agurbash, pumpte damals eine beträchtliche Summe in ihren Auftritt, genützt hat es ihr jedoch nichts. Mittlerweile lebt Angelica in Moskau und besitzt die russische Staatsangehörigkeit. Wie sie in einem Video auf ihrem Youtube-Kanal mitteilt, wurde sie in Weißrussland zur Fahndung ausgeschrieben und ein Strafverfahren wegen Aufwiegelung und Präsidentenbeleidigung eingeleitet. Im letzten Jahr bekundete sie ihre Solidarität mit der Opposition und zeigte sich mit der weiß-rot-weißen Flagge bei einer Kundgebung vor der weißrussischen Botschaft in Moskau, kurz zuvor sang sie noch bei offiziellen Feierlichkeiten des Landes, nun soll sie den öffentlichen Frieden im Land stören, heißt es in staatlichen Medien. 

Vom Trashpop zur politi-
schen Aktivistin: Angelica
Agurbashin Moskau
"Letztes Jahr haben wir bereits gezeigt, dass sich das weißrussische Volk zu einer Nation entwickelt hat, die in Frieden und Harmonie leben möchte, in einem eigenen souveränen und unabhängigen Land! In einem Land, in dem Entscheidungen nicht nach Laune einer Person, sondern genau nach dem Willen des Volkes getroffen werden.", sagte sie in einer Videobotschaft. "Im Juni 2021 wurde ein Antrag an die Generalstaatsanwaltschaft der Russischen Föderation gestellt, sie zur Strafverfolgung auszuliefern.", bestätigten weißrussische Behörden mittlerweile die Meldungen. Aufgrund von Anstiftung zu sozialer Feindseligkeit und Zwietracht (Artikel 130 §3) und öffentlicher Beleidigung des Präsidenten (Artikel 368 §2) muss sie in Weißrussland mit bis zu zwölf Jahren Gefängnis rechnen. 

Aufgrund ihrer russischen Staatsangehörigkeit, dürfte eine Auslieferung an Weißrussland jedoch unwahrscheinlich sein. Meldungen wie diese unterstreichen jedoch die Arbeitsweise mit der weißrussische Behörden und staatliche Institutionen gegen Regimekritiker vorgehen. Und auch wenn die Europäische Rundfunkunion durch den Ausschluss von BTRC bis auf weiteres die Song Contest-Teilnahmen Weißrusslands unmöglich gemacht hat, so werden wir natürlich weiterhin über die Entwicklungen im Land und die Zukunft der musikalischen Akteure des Landes berichten. Man kann sich nur beeindruckt zeigen, wie weit das politische Engagement vieler Menschen in Ländern wie Weißrussland geht, trotz aller Repressalien und Drohungen von Seiten der staatlichen Führung.