Sonntag, 5. Mai 2019

Tag 2: Singender Zahnarzt und blasser Belgier



Matthias' Eindrücke von dem ersten Proben fürs erste Semi

Israel Der Blick auf die ersten Proben beim Eurovision Song Contest – ob wie jetzt in Tel Aviv oder auch sonst – ist generell von zwei Fragen geprägt, die wiederum abhängen davon, ob der betreffende Beitrag intern gewählt wurde oder durch eine öffentliche Vorentscheidung ging. Die eine Frage lautet: Was wird die Delegation aus dem intern gewählten Lied machen? Die andere: Wie sehr wird sich die Performance von der im nationalen Vorentscheid unterscheiden?

In dieser Hinsicht ist auch das, was gerade in Israel am Mittelmeer passiert, spannend. Die 17 Teilnehmer des ersten Semifinals haben ihre ersten Proben absolviert, und man kann sagen: Die intern Gewählten wissen zu überraschen (wenn auch nicht immer positiv), die VE-Sieger stehen bislang weitgehend zu dem, was sie sich schon für die nationale Bühne ausgedacht hatten.

Siehe Australien. Da hatten die Aussies doch noch getönt, der Auftritt werde in Tel Aviv anders sein als an der Gold Coast – doch dann hat Kate Miller-Heidke doch nur das übermäßig hohe Kleid gegen den Swing-Pole getauscht. Eine gute Entscheidung, schließlich kam schon bei der VE Kritik an der Aufmachung auf („Moldawien 2013 und Estland 2018 wollen ihre Kleider zurück“). An den TV-Bildschirmen wird Kates Schwingen vor der Weltall-Optik prima ausschauen. Der Einzug ins Finale scheint gesichert.

Conan Osíris und sein Tänzer haben die weißen Federmäntel gegen grüne Outfits getauscht. Damit knüpft man zwar an die portugiesischen Farben Grün und Rot (Backdrop) an, sieht aber nicht schön aus. Und haben die beiden ihre goldfarbenen Scherenhände vergessen? So wirkt das ganze dann doch weniger eindrücklich als noch beim Vorentscheid in Portugal. Finnland hat seinen Act ebenfalls eingedampft. Schade, denn dieses LED-Aquarium hätte man durchaus auch dem Rest Europas präsentieren können. Weniger ist mehr – ganz klar die falsche Haltung, wir sind hier beim Eurovision Song Contest!

Da machen es die Serben und Weißrussen schon besser. Obwohl – ZENA übertreibt es mit ihrem Augenkrebs-erregenden Outfit (und was sollen die Boxen auf der Bühne? Werden die noch ausgepackt?). Nevena Božović hat dagegen aus ihrem Barbara Dex Award 2013 (gemeinsam mit Moje3) gelernt und sich für „Kruna“ vernünftig angezogen. Fast schon elegant. 

D mol wissen, da sie ihren Notenständer in Montenegro gelassen haben, nicht so recht mit sich anzufangen, die Bewegungen wirken dann doch holprig und eher aus der Kategorie Schulaula. Das absolute Gegenteil dazu: Hatari. Die Isländer haben sich gegenüber Söngvakeppnin noch gesteigert. Klar, die BDSM-Orientierung ist geblieben, aber mit dieser (Welt-?) Kugel setzen die Jungs noch einen Hingucker. 

Und sonst? Victor Crone stabil wie im Eesti Laul, aber tendenziell zu wenig, um sich im Feld durchzusetzen. Bei Zala Kralj und Gašper Šantl könnte man glatt glauben, Bilder vom Vorentscheid zu sehen. Auch Joci Pápais Auftritt unterscheidet sich nicht wesentlich von dem, was wir schon kennen. Schuhe trägt er immer noch keine. Oto Nemsadze möchte man auch in Tel Aviv nichts nachts auf der Straße begegnen, zumal er sich jetzt auch noch fünf Kerle zur Verstärkung geholt hat. 

Spannender erscheinen aus Fansicht die Beiträge, die auf der Bühne bislang nicht oder kaum zu sehen waren. Das Ergebnis ist da durchwachsen. Die belgische Probe hat vor Ort eher enttäuscht. Das lag wohl weniger am Gesang, aber daran wie blass Eliot wirkte – und diese Trommler passen auch nicht zum Song. Es wirkt wie der hilflose Versuch, aus einem wenig dynamischen Lied noch was rauszuholen. Bei „Wake up“ war ich angesichts von Audio und Preview-Video wirklich gespannt, wie man das auf die Bühne bringen würde. Leider überzeugt es nicht. Belgien muss sich das ESC-Finale vermutlich erneut vom Zuschauerplatz aus anschauen.

Better Love“ hat mich als Lied nie so überzeugt, aber optisch sieht das, was Katerine Duska mit ihren Damen da auf der Bühne macht, doch ganz gut aus. Bei den Kleidern hätte es etwas weniger Stoff auch getan (soll aber wohl ans Video anknüpfen), doch sonst ist die florale Thematik mit einem Hauch Ostasien recht gelungen.

Apropos Video: Clever, wie die Jungs von Lake Malawi ihre Idee vom Musikvideo, diese digitalen „Kästen“, auf die Bühne umzusetzen versuchen. Das wirkt gar nicht mal so übel. Nur der Ton bzw. der Gesang, den wir im Rehearsal-Video von eurovision.tv zu hören kriegten, hat mich dann doch ein wenig erschreckt. Wird hoffentlich noch.

Tamta versucht es mit Sex sells – aber irgendwie würde ich sie in ihrem Lack-Outfit eher zu Hatari stellen als an die Seite ihrer gedanklichen Schwester Eleni Foureira. Vielleicht einen Hauch zu schebbig. Aber Tamta trifft damit halt auch meilenweit an der ESC-Zielgruppe vorbei. 😉 Musikalisch gilt dieser Satz auch für den polnischen Beitrag. Aber wenn man schon mit landestypischem Sound antritt, dann muss man auch den ganzen Weg gehen – und das machen Tulia auf überzeugende Weise. Dem Zuschauer erschließt sich das Erscheinungsbild der trauernden Witwen ebenso wenig wie der Song. Passt.

Den Semi-Abschluss bildet Serhat mit drei Background-Sängerinnen und zwei Tänzern, alle in Weiß. Am besten sehen noch die drei Frauen in ihren Hosenanzügen aus. Serhat droht mit dem örtlichen Zahnarzt verwechselt zu werden, und die beiden Tänzer scheinen gerade vom Tennis-Court zu kommen (oder vom Golfplatz?). Und: Storchenbeine in kurzen weißen Hosen mit langen weißen Tennissocken, das sieht einfach nicht gut aus. Aber klar, das Team hatte es schwer. Was soll man auch inszenieren bei einem Song, dessen Botschaft sich erschöpft mit „Wenn’s im Leben scheiße läuft, sag Na Na Na“? Trotzdem könnte es nicht schaden, nochmal im Koffer nach anderen Klamotten zu wühlen oder notfalls in Tel Aviv zu shoppen.

Fazit: Im Grunde keine großen Überraschungen. Am ehesten wohl noch Griechenland und - als eher Minusüberraschung – Belgien. Dazu auf der Positivseite Australien und Serbien. Zypern kam bei den Fanjournalisten in Tel Aviv ebenfalls gut an, aber das überrascht nun weniger. Ebenso, dass Montenegro, Polen, aber auch Finnland und Estland durchfallen. An Portugal und Slowenien scheiden sich die Geister. Und das Team aus Belarus muss uns noch in das Geheimnis ihrer Bühnendeko einweihen. Fortsetzung folgt.