Dienstag, 26. Februar 2019

Ukraine: So viel zum Thema „Der ESC ist unpolitisch“



Ukraine Das Chaos um den ukrainischen Teilnehmer für Tel Aviv offenbart die Kernschwäche der EBU. Ein Kommentar von Matthias Breitinger

Erst gewinnt Maruv den Vorentscheid der Ukraine für den Eurovision Song Contest 2019, nun darf die Sängerin nicht fahren – weil sie offenbar die Regeln des Senders nicht akzeptierte. Wie sie selbst in einem Statement schreibt, akzeptierte sie zwar die Forderung, alle ihre Konzerte in Russland zu canceln. Aber sie sei nicht bereit, sich für politische Zwecke instrumentalisieren zu lassen. Vorher hatte sie schon deutlich Kritik daran geübt, dass sie etwa mit Medien nur noch sprechen dürfe nach vorheriger Abstimmung mit dem Sender – das sei eine Verletzung der Meinungsfreiheit.

Diese neuesten Volten in der Ukraine bei der Frage, wer das Land in Tel Aviv vertritt, legen erneut schonungslos ein Grundproblem der EBU offen: Sie steht partout zu ihrer Kernregel, der ESC sei eine unpolitische Veranstaltung – dabei war und ist er das selten.

Solange die Stimmung zwischen den teilnehmenden Staaten im Grunde in Ordnung ist, ist es leicht, sich hinter die Erwartung zu stellen, der Wettbewerb habe mit Politik nichts zu tun. Doch schon mit der Teilnahme Griechenlands und der Türkei in den 1970er Jahren änderte sich das – und erst recht problematisch wurde die Sache, als die EBU erst Armenien (2006) und dann Erzfeind Aserbaidschan (2008) zum Song Contest ließ.

Nun kam ab 2014 auch noch der Konflikt zwischen Russland und der Ukraine dazu. Da ist es blauäugig zu glauben, die Beteiligten könnten das politische Geschehen mal für einen Abend ausklammern, gar vergessen.

Die EBU hat sich die Suppe selbst eingebrockt. Ihr bleiben nur zwei Alternativen: Sie könnte diese Länder vom ESC ausschließen, um den Schein des unpolitischen Events zu wahren – oder sie akzeptiert,  dass in gewissem Rahmen die Konflikte auch in den ESC einlaufen. Sie hat sich offenbar für letzteres entschieden.

Das zeigte sich etwa vor ein paar Jahren, als Armenien und Aserbaidschan im selben Halbfinale antraten und bei der Verkündung, wer ins Finale einzieht, nacheinander genannt wurden. In dieser Reihenfolge sollen bei der anschließenden Pressekonferenz die Finalisten dann auch sitzen. Doch die Delegationen beschwerten sich bei der EBU – und wurden schließlich weit voneinander entfernt an den Tisch gesetzt.

Die EBU knickt also vor dem Faktischen ein. Natürlich greift sie ein, wenn wie geschehen das aserbaidschanische Fernsehen die Rufnummer für den armenischen Beitrag nicht einblendet. Aber allzu weit aus dem Fenster lehnt sich der Rundfunkverband nicht.

Was das nun für die jüngsten Ereignisse in der Ukraine bedeutet? Eigentlich müsste die EBU einschreiten. Es ist schlichtweg inakzeptabel, wie der staatliche Sender mit der Vertreterin umgeht. Das begann schon in der Sendung, als Jamala wie der Großinquisitor von Kiew Maluv nötigte, Stellung zur Krim zu nehmen („Und wenn du gefragt wirst, zu welchem Land die Krim gehört, was sagst du dann?“ – „Natürlich sage ich, dass sie zur Ukraine gehört“). Klausel 2.6 des Reglements für den ESC 2019 schreibt vor, dass die beteiligten Sender „alle notwendigen Schritte ... unternehmen müssen, damit sichergestellt ist, dass der ESC in keinem Fall politisiert und/oder instrumentalisiert wird“. Das ist aber schon durch Jamalas Fragerei geschehen.

Nun ist die Frage, ob die EBU ihr eigenes Reglement ernst nimmt oder sich wieder wegduckt. Allerdings steckt sie in einem Dilemma. Aus ukrainischer Sicht ist Russland der „Aggressorstaat“ – darum ist ein Vertreter des Landes auf internationaler Bühne nicht akzeptabel, der in dem „Aggressorstaat“ Konzerte gibt. Nur ist dummerweise dieser Staat eben auch Teilnehmer am ESC. International würde sich die EBU in die Bredouille bringen, wenn sie nun die Ukraine – die im Westen als der unschuldige, überfallene Staat betrachtet wird – ausschlösse und Russland in Tel Aviv dabei wäre. Klar, an der ganzen Sache jetzt war Russland unbeteiligt. Aber die Diskussion würde dennoch aufflammen, ob man der Ukraine nicht zu Recht zugestehen müsse, dem ausgewählten ESC-Vertreter solche Vorgaben in Bezug auf den „Aggressorstaat“ zu machen.

Die Klausel bringt die EBU in eine schwierige Lage. Aber wenn sie ihre selbst aufgestellten Regeln nicht ad absurdum führen will, muss sie eigentlich intervenieren. Vermutlich wartet sie aber erst einmal ab – vielleicht löst sich das ukrainische Chaos ja von selbst.