Mittwoch, 28. November 2018

Kommentar: Altlasten und ein Blick nach Westen



Kasachstan - Die Hartnäckigkeit und das Engagement, dass das kasachische Fernsehen an den Tag legt sollte meiner Meinung nach belohnt werden. Nach dem erfolgreichen Einstand beim Junior Eurovision Song Contest hält der assoziierte EBU-Sender Khabar an seinen Plänen fest, früher oder später auch beim adulten Eurovision Song Contest anzutreten. Geschäftsführer Alan Azhibayev wird dahingehend von der Nachrichtenseite today.kz zitiert.

Khabar-Intendant Azhibayev
Die Dinge wären einfacher, wenn man ein Vollmitglied der Europäischen Rundfunkunion werden könne und ein Stimmrecht erhalte, so Azhibayev. Es gab bereits Gespräche mit dem Informations- und Kommunikationsminister der Republik Kasachstan sowie einem Ausschuss der EBU. Selbst nach dem Junior Eurovision Song Contest, der am Sonntag in Minsk stattfand, hat es weitere Verhandlungen gegeben und Azhibayev geht davon aus, dass in Kürze weitere Gespräche mit einem gütigen Ausgang folgen werden.

Er ergänzt, dass Khabar mittlerweile auch Teil der Asia-Pacific Broadcasting Union geworden ist. "Aber Asien ist Asien und Europa ist Europa, daher braucht es einige Zeit. Es geht uns nicht nur um die Teilnahme an der Eurovision." Zwar bringt es Prestige, den Wettbewerb ins eigene Land zu holen, Khabar bzw. ganz Kasachstan würden aber auch von den Übertragungsrechten der Olympischen Spiele, der Fußball-WM und anderer Events profitieren und an das Nachrichtennetzwerk der EBU angeschlossen. 

Forscher fanden heraus:
Kasachstan liegt näher an
Europa als Australien
Aufhorchen lässt sein Statement zum Eurovision Song Contest 2019, für den Azhibayev doch noch eine kleine Chance sieht: "Ich erinnere mich an Australien, das seit fast 40 Jahren Teil der Eurovision war, bis es vor kurzem als besonderer Gast eingeladen wurde. (...) Dieser Prozess ist in mehrere Stufen eingeteilt, die man uns gegenüber bislang nicht mitgeteilt hat." Gleichzeitig habe man aber alle notwendigen Dokumente ausgefüllt um bei der Teilnahme in Zukunft berücksichtigt zu werden. Ob man nun doch noch nach einem Gastauftritt in Tel Aviv strebt, ließ man in Astana zunächst offen.

Unabhängig davon, dass Australien den Wettbewerb seit nahezu einem halben Jahrhundert überträgt und sich durch eine lange Verbundenheit das Privileg erarbeitet hat, aktiv am Eurovision Song Contest teilzunehmen, hat Kasachstan aufgrund seiner geographischen Nähe zu Europa bzw. westlich des Urals, innerhalb Europas, ebenso die Gelegenheit verdient, am Eurovision Song Contest teilzunehmen. Zwar stehen dem bürokratische Hürden im Weg, die Lage außerhalb der 40° Ost-Marke, die fehlende Vollmitgliedschaft in EBU und Europarat, der Wille des Landes sollte aber dennoch belohnt werden.

Musikalisch wäre das Land
durchaus eine Bereicherung
Es gibt in Europa mehrere Länder, die keinerlei Interesse am Eurovision Song Contest zeigen, darunter Zwergstaaten wie Luxemburg oder Monaco, was teilweise auch an der finanziellen Lage der jeweiligen Rundfunkanstalten liegt, umso glücklicher sollte die EBU doch sein, dass es Länder vor der europäischen Haustür gibt, die nur zu gerne eintreten wollen würden. Ich bin zwar grundsätzlich auch gegen einen übermäßigen Ausbau des Eurovision Song Contests in alle Richtungen, mit Kasachstan habe ich mich aber inzwischen sehr angefreundet und würde sie bei der Eurovision herzlich willkommen heißen.

Kritiker, die davon ausgehen, dass das Debüt Kasachstans den russischen Interpreten in die Hände spielen würde und erneut eine Runde "Douze points" in Richtung Moskau wandert, können vermutlich beruhigt aufatmen. Von politischer Seite gibt es zwischen den beiden Nationen hin und wieder Verstimmungen, Kasachstan strebt eine teilweise Annäherung an den Westen an, was man insbesondere durch die schleppend verlaufende Umstellung auf das lateinische Alphabet bemerkt und den Vertragsschluss mit westlichen Nationen. Sowohl Russland als auch Kasachstan möchten zudem ihre Machtposition in Zentralasien festigen.

Auf eigenem Kurs, Kasachs-
tans Präsident Nasarbajew
Zwar leben in Kasachstan rund 23% ethnische Russen, Kasachstans Präsident Nasarbajew fasste aber einige Äußerungen Putins als Drohgebärde auf. In einem Interview mit dem britischen "Guardian" sagte Putin 2014, als der Konflikt in der Ukraine sich auf seinem Höhepunkt befand: "Kasachstan ist Teil der großen russischen Welt.", Nasarbajew habe mit dem Konstrukt und der Neugründung seines Landes "etwas Einzigartiges" getan. Nasarbajew, der seit Staatsgründung als Präsident agiert konterte: "Unsere Unabhängigkeit ist der kostbarste Schatz, für den unsere Großväter gekämpft hatten. Wir werden sie nie jemandem abtreten und werden unser Bestes tun, um sie zu verteidigen."

Gleichsam strebt Kasachstan nicht nur bei der Eurovision in Richtung Westen sondern spricht sich für verbesserte Beziehungen mit Europa aus. Aus diesem Grund haben Nasarbajew und der ehemalige deutsche Außenminister Hans-Dietrich Genscher eine Dialogplattform gegründet, mit deren Hilfe das zentralasiatische Land gute Beziehungen zur Europäischen Union aufbaue. Hier spielen natürlich auch wirtschaftliche Interessen beider Seiten eine große Rolle, den Dialog zwischen allen Seiten mindert dies jedoch nicht. 2017 zeigte sich Kasachstan im Rahmen der Weltausstellung in Astana als moderne Nation, die sich im Umbruch befindet.

Altlasten aus der Sowjetzeit legt
Kasachstan nach und nach ab
Der damalige stellvertretende Außeminister Kasachstans, Roman Vassilenko erklärte, es habe in Astana "Priorität, den eurasischen Dialog mit Partnern, allen voran der EU, voranzutreiben." Hierfür ist auch die Abschaffung des kyrillischen Alphabets in Planung. Bis 2025 soll die Umstellung abgeschlossen sein. Ende Oktober letzten Jahres sei dies per Dekret verfügt worden, auch dies wird als Teil der Modernisierung des Landes angesehen. Als Beispiel wurde Aserbaidschan genannt, das vor 20 Jahren in den Schulen nur noch auf die Landessprache und Englisch setzte, seither jedoch nicht mehr auf Russisch.

Unabhängig von engen Verflechtungen mit Russland, die sich wie die Nationen auf dem Balkan einen ähnlichen Kultur- und Musikmarkt teilen, bleiben beide Länder eigenständig und anders als die häufig bei politischen Wahlen der Fall ist, haben sie beim Eurovision Song Contest vollkommen unabhängig von Vorgaben ihrer Regenten das Recht demokratisch für das Lied abzustimmen, das ihnen gefällt. Durch die Neustrukturierung des Wertungssystems beim Eurovision Song Contest, so theoretisch dies auch klingen mag, würde selbst 24 Punkte an den ehemaligen sowjetischen Bruder nicht ins Gewicht fallen.

Wir haben es in diesem Jahr mit Julia Samoylova selbst erlebt, dass auch das Siegel "Russland" nicht verhindern kann, dass ein dünnes Lied und eine stimmlich eingeschränkte Interpretin im Halbfinale ausscheiden können. Warum also sollte man Kasachstan, das bereit ist sich neu aufzustellen, es nicht ermöglichen, Teil der offenen Eurovisionsgemeinschaft zu sein. Wir sprechen hier schließlich nicht über die USA, Brasilien, Südafrika oder die Philippinen, die höchstwahrscheinlich allesamt auch kein Interesse an der Teilnahme am Song Contest hätten, sondern über ein Land, das auf der Schwelle Europas liegt und heiß darauf ist, sich musikalisch unter Beweis zu stellen.

Der gleiche Kommerz wie bei
uns: SuperStar KZ
Die kasachische Musikszene ist breit gefächert, da gibt es natürlich die nomadisch geprägten, traditionellen Töne, die man klischeehaft im Kopf hat, wenn man an die menschenleeren Steppenregionen des Landes denkt. Aber auch westliche Popmusik spielt eine immer bedeutendere Rolle. Bis 2007 gab es einen eigenen Ableger namens "Superstar KZ", nach dem Vorbild des britischen "Pop Idol" oder dem deutschen DSDS. Zudem gibt es auch unerwartete Ehrungen für westliche Musikikonen. So befindet sich auf dem Kök Töbe, dem Hausberg von Almaty eine Beatles-Statue und in den Diskotheken des Landes läuft vermehrt die gleiche Grütze wie in unseren Musikcharts.

Alte Laster haben die Kasachen auf dem Weg von der Unabhängigkeit zur Identitätsfindung bereits abgeworfen. So erinnern heute fast nur noch Geschichtsbücher oder veraltete Länderlexika an Ortsnamen wie Alma-Ata, den Namen der alten Hauptstadt der Kasachischen SSR im Südosten des Landes, ehe sie in Almaty umbenannt wurde. Auch die heutige Hauptstadt heiß seit 1991 nicht mehr Zelinograd sondern Astana, was Kasachisch für Hauptstadt ist und das baulich inzwischen einem Tundra-Ableger von Dubai gleicht. Nicht zuletzt hat das Junioren-Lied "Ózińe sen" eine klare Botschaft auf dem Weg zur neuen kasachischen Identität. Der Titel bedeutet übersetzt so viel wie "Du selbst".

2017 hieß das Motto der Eurovision "Celebrate Diversity" und genau diese Vielfalt bringt ein Land wie Kasachstan mit, kulturell, musikalisch, sprachlich. Daher sollte man den Kasachen die Chance geben, sich bei der Eurovision zu zeigen, wie sie es jüngst mit Daniyela Tuleshova bei der Junioren-Ausgabe getan haben. Kasachstan ist Teil der UEFA und tritt im europäischen Fußball und vielen anderen Veranstaltungen in Europa an, warum sollten sie nun also beim Eurovision Song Contest außen vor bleiben, der sich seit jeher damit rühmt, dass jeder unabhängig von seinem Stand teilnehmen darf und Politik ohnehin keine Rolle spielen soll?