Samstag, 22. Juli 2017

Black Cocktail: Making a hit



Europa - Es ist wieder einmal Wochenende und während heute Abend in Riga neun Chöre zusammentreffen um untereinander auszumachen, welcher von ihnen der beste ist, widmen wir uns ebenfalls einem Thema rund um den Eurovision Song Contest, bei dem es um Erfolg geht. In "Making a hit" fragen wir uns, wie Lieder für den Eurovision Song Contest überhaupt entstehen, was es ausmacht, dass sie beim Wettbewerb einen Erfolg verbuchen können und wie groß die Chancen sind, im Nachhinein auch kommerziell erfolgreich zu werden.


Das Leitthema des Cocktails in dieser Woche leitet sich vom norwegischen Beitrag diesen Jahres ab. Jowst alias Joakim With Steen arbeitete als Tontechniker bis er später in ein Osloer Aufnahmestudio wechselte und ihm die Idee kam, via Facebook eine Gruppe zu gründen, in der er seine Familie und Freunde darum bat, Verbesserungsvorschläge für sein Projekt "Making a hit" zu hinterlassen. Gemeinsam wurde über Monate hinweg an einem Lied gefeilt, neu arrangiert, Passagen gestrichen, Beats verändert und am Ende gab es den fertigen Song "Grab the moment".

Jowst u. Aleksander Walmann
Im Nachhinein wurde mit Aleksander Walmann über eine Audition ein passender Sänger für den Song gesucht. Die beiden verstanden sich auf Anhieb und sendeten ihren Beitrag beim Melodi Grand Prix, dem norwegischen Vorentscheid ein. Der Rest ist bekannt, in Kiew reichte es für einen Top Ten-Platz und das, obwohl der Song aus Norwegen, wenngleich er meine #1 in diesem Jahrgang ist, als Underdog mit relativ niedrigen Chancen gehandelt wurde. Anders als noch vor ein paar Jahren reicht es nicht aus, allein vom Publikum geliebt zu werden, auch die Jury, die laut EBU-Regeln gewissenhaft nach musikalischen Kritikpunkten werten soll, muss überzeugt werden.

Jowst und Aleksander Walmann erreichten 129 Punkte im Juryvoting, bei den Zuschauern nur 29. Das Gegenbeispiel lieferte Rumänien. Der Jodelbeitrag von Ilinca feat. Alex Florea holte nur 58 Punkte bei den Jurys, hingegen 224 Zähler beim Televoting. Allerdings konnte sich der farbenfrohe Comeback-Song Rumäniens sich im Anschluss kommerziell in Europa nicht lange behaupten. Wie man bereits während der Proben in Vorbereitungen auf Kiew feststellte, funktioniert der Song innerhalb der Eurovision-Bubble, nicht jedoch im Radio oder bei öffentlichen Präsentationen außerhalb dieses Rahmen. 

Da mussten die Bühnenhelfer
viel schleppen: Luminita
Viele Nationen entscheiden, häufig intuitiv im nationalen Vorentscheid nicht für ihren eigenen Favoriten, sondern orientieren sich an den Erfolgsrezepten der Vorjahre. In einem Jahr waren Trommeln und Folklore angesagt, etwa 2005 als Helena Paparizou mit Sirtaki und Hosenträger-Geigen den ersten Sieg für Griechenland klar machte oder die Percussion-Band Sistem gemeinsam mit Luminița Anghel Ölfässer und eine Flex als Utensilien verwendete um ihren Song "Let me try" visuell epischer zu machen. Auch Moldawien setzte in diesem Jahr mit einer trommelnden Großmutter auf diese Karte. 

Zur damaligen Zeit gab es jedoch keine Jury, in der Periode zwischen 1998 und 2009 entschieden ausschließlich die Zuschauer über das Wohl der Interpreten. Rechnet man den Nachbarschaftsbonus heraus (2004 waren z.B. alle Balkannationen von Ivan Mikulić für Kroatien bis Anjeza Shahini für Albanien qualifiziert), entstand so ein Stimmungsbild, was in Europa erfolgreich sein könnte. 2006 schafften es Lordi als Eyecatcher, die Dauerpleiten Finnlands zu kompensieren. 2007 wurde die ukrainische Discokugel Verka Serduchka Zweite hinter der eindrucksvollen und landessprachlichen Ballade von Maria Šerifović.

Wäre in der Probe fast am
Kunstschnee erstickt: Loreen
Natürlich versuchen sich Komponisten, die einmal Song Contest-Luft geschnuppert haben, ihrem Stil treu zu bleiben und an alte Erfolge anzuknüpfen. Besonders schwedische Komponisten wie z.B. Thomas G:son sind besessen vom Song Contest-Erfolg, was 2001 mit "Listen to your heartbeat" für die Formation Friends erfolgreich begann und sich mit Carolas "Invincible" in Athen fortführte, wurde 2012 mit dem Sieg von Loreen belohnt. "Euphoria" entwickelte sich als einer der wenigen Songs in den letzten Jahren auch zu einem kommerziellen Erfolg, der sogar heute, fünf Jahre später noch hin und wieder im Radio zu hören ist. Gleiches gilt für Frans und "If I were sorry", das auch heute noch im Radio auftaucht.

Gänsehaut pur: Pastora Soler
singt "Quédate conmigo"
Schwedische Komponisten gelten als Hitproduzenten, sind weltweit gefragt, internationale Künstler holen sich Hilfe aus Skandinavien und fahren damit sehr gut. So kaufen sich auch andere Nationen im skandinavischen Ausland ein. Thomas G:son drückte 2012 nicht nur für Schweden sondern auch für Spanien die Daumen. Er stand gemeinsam mit Tony Sánchez-Ohlsson und Erik Bernholm hinter dem Titel "Quédate conmigo" von Pastora Soler, bis heute meinem absoluten Favoriten beim Eurovision Song Contest. Bereits einige Jahre zuvor fuhr er mit "I love you mi vida" zum Song Contest. Damals wählte das spanische Fernsehen TVE in einem sehr komplizierten Verfahren Song und die Interpreten D'Nash getrennt voneinander.

Dieter Bohlen und die beiden
Mäuschen von Indiggo
Heute arbeitet G:son vorzugsweise für Zypern und Georgien und verbirgt sich hinter den Beiträgen von Nina Sublatti, Nika Kocharov, Minus One oder zuletzt Hovig. Namen großer Komponisten müssen aber nicht zwangsläufig zum Erfolg führen. 2007 komponierte G:son so u.a. den Titel "Lovestruck" für das rumänische Girlie-Duo Indiggo. Der Beitrag wurde jedoch später vom rumänischen Vorentscheid ausgeschlossen, da die beiden Damen es versäumten zur Probe zu erscheinen. Beide waren schon im Vorjahr an der Selectia Nationala beteiligt, damals komponierte Dieter Bohlen den Song "Be my girlfriend", ein Lied im Stil der 90er Jahre, das einem polyphonen Klingelton für das Nokia 3310 ähnelte. 

"We have a dream" - Die Erste
Tony Wegas 1992 für Österreich
Apropos Dieter Bohlen, der Meister des Musik-Recyclings erhielt 1992 vom österreichischen Fernsehen den Auftrag ein Lied für Tony Wegas zu schreiben. So entstand auf Befehl des ORF der Titel "Zusammen geh'n", beim Eurovision Song Contest wurde er Zehnter. Tony Wegas alias Anton Hans Sarközi geriet nach seinem zweiten Engagement des ORF 1993 langsam in Vergessenheit. Später handelte er sich durch Alkohol und Handtaschendiebstahl größere Probleme ein. Diese Karriere war beendet, Bohlen nutzte das Playback von "Zusammen geh'n" allerdings Jahre später als Grundlage für den Nummer Eins-Hit "We have a dream" für die erste Staffel von "Deutschland sucht den Superstar", in der u.a. Alexander Klaws, Juliette Schoppmann, Gracia Baur und Daniel Küblböck für Rekordquoten sorgten.

"Just get out of my life" klang
sehr verdächtig nach Siegel
Heute gibt es dafür den vielbeschworenen Begriff "Plagiat", der mindestens einmal pro laufender Eurovisionssaison irgendwo in Europa auftaucht und am Ende doch wieder relativiert wird. Selbst Levinas "Perfect life" soll zumindest im Intro stark an Sias "Titanium" erinnern. Da Bohlen sich jedoch lediglich selbst kopierte und auf alte Muster aus Modern Talking-Zeiten zurückgreift, kann man in diesem Fall schlecht von einem Plagiat sprechen. Ein Ausschnitt einer früheren Ausgabe von TV total mit Stefan Raab zeigt jedoch beeindruckend, dass sich Komponisten über die Jahre hinweg auf ihrer musikalischen Linie halten. Ralph Siegel ist ein ähnliches Phänomen. Als 2009 der Titel "Just get out of my life" von Andrea Demirović veröffentlicht wurde, war nach den ersten fünf Tönen klar, dass hinter dem Alias Peter Match die graue Eminenz aus München steckt.

Today, tonight, tomorrow - Keine Neuerfindung

Die Muse von Thomas G:son
Lisa del Bo 1996 in Oslo
Die Handschrift von Ralph Siegel ist immer wieder deutlich aus seinen Beiträgen herauszuhören, ob nun in den Songs für Valentina Monetta, der Formation six4one für die Schweiz oder den vielen Vorentscheidungsliedern, etwa "Innocent heart" von Ruth Portelli auf Malta. Das es sich aber nicht lohnt, alte Erfolgsrezepte aufzugreifen, zeigen andere Lieder in der Eurovisionsgeschichte, die stark an bereits dagewesene Performances erinnern. Der fünfte Platz der Friends in Stockholm mit "Listen to your heartbeat" ist dabei eine Ausnahme, erinnerte der Refrain doch stark an den belgischen Song "Liefde is een kaartspel" von Lisa del Bo, die damit 1996 in Oslo baden ging.

"You're a star"-Sieger 2003:
Mickey Harte für Irland
Selbst das (noch) erfolgreichste Song Contest-Land aller Zeiten, Irland, kann sich nicht davon freisprechen. 2003 initiierte der irische Sender RTÉ als Reaktion auf die schlechten Ergebnisse der Vorjahre eine neue Talentshow mit dem Titel "You're a star". In einem offenen Casting wurden neue Talente gescoutet, am Ende standen sich Mickey Harte und Simon Casey im Finale gegenüber. Es gewann der Song "We've got the world" von Mickey Harte, der mit seiner grünen Glitzergitarre nach Riga fahren durfte. Die Komponisten Martin Brannigan und Keith Malloy orientierten sich aber hörbar an "Fly on the wings of love" der Olsen Brothers, die drei Jahre zuvor überraschend für Dänemark siegten. Während diese damals noch einen kommerziellen Erfolg erzielten und u.a. auf Best Of-CDs des Jahres 2000 auftauchten, geriet Mickey Harte schnell in Vergessenheit.

Mickey spielte nach dem Song Contest in der RTÉ Reality-Show "Celebrities go wild" mit und arbeitet weiterhin im Musikgeschäft, vergangenes Jahr eröffnete er die 12. Musikmeile in Bedburg, einer Kleinstadt im Rhein-Erft-Kreis als Support-Act von Milow. Der nationale Vorentscheid, durch den er ausgewählt wurde, sollte auch in den Folgejahren dazu dienen, die irischen Interpreten auszuwählen, Chris Doran wurde in Istanbul allerdings nur 22. von 24 Finalisten, Donna & Joe McCaul schafften es gar nicht erst ins Finale. Danach wurde "You're a star" wieder eingestellt. Auf der Suche nach erfolgreichen Song Contest-Startern initiierten einige Rundfunkanstalten eigene Castingformate.

OT-Finalisten: David Bisbal,
Rosa u. David Bustamante
Mutter aller Castingvorrunden für den Eurovision Song Contest ist das spanische Fernsehen TVE. 2002 schickte Spanien mit Rosa eine Interpretin, die wochenlang durch die Höhen und Tiefen der "Operacíon Triunfo" ging, einer Sendung bei der ganz Spanien am Fernseher klebte, ähnlich wie es zur gleichen Zeit hierzulande bei DSDS der Fall war. Das israelische Fernsehen verzichtet seit einigen Jahren auf seinen traditionellen Kdam um mit Hilfe der Castingshow "Hakochav haba" nach Eurovisionsteilnehmern zu fahnden und dies mit Erfolg. Der "Golden boy" von Nadav Guedj, als auch Hovi Star und Imri Ziv schafften es ins Eurovisionsfinale.

Durfte ihre eigenen Lieder
singen: Sharyhan Osman
Man kann einen Erfolg beim Eurovision Song Contest trotzdem nie gezielt planen. Auch Deutschland hatte 2010 Glück in der Auswahl. Stefan Raab schuf mit "Unser Star für Oslo" einen Vorentscheid, der sich nicht an prominenten Namen in der Line Up orientierte, sondern legte den Fokus auf einen unverbrauchten Charakter, der das Publikum fesselte. Und so schieden nach und nach Nachwuchstalente aus, angefangen von Meri Voskanian, die zuvor bereits bei DSDS und beim armenischen Vorentscheid dabei war und auch Sharyhan Osman, ebenfalls ein DSDS-Gesicht, das jedoch kein Best Of der ausgeleierten RTL-Songs darbieten musste, sondern frei entscheiden durfte, was sie singt. Dabei präsentierte sie u.a. eine eigene Komposition namens "Feel the Nile", in der sie ihre ägyptische Herkunft erörterte.

Sharyhan wurde damals Fünfte und ist heute noch musikalisch aktiv, wenn auch nicht auf der ganz großen Bühne. Auch der Siebte von USFO, Cyril Krueger, der damals mit "Hotel California" überzeugte oder der Drittplatzierte Christian Durstewitz sind heute noch mit ihrer Musik in Deutschland unterwegs. Lena Meyer-Landrut schaffte es, mit ihrer eigenen Art Europa in ihren Bann zu ziehen, "Satellite" war da fast nur noch das Mittel zum Zweck. Lena ist bis heute im Geschäft, in den Anfangsjahren nutzte man für ihre Karriere das Potenzial, das die raab'schen Events, etwa "Schlag den Raab" oder "TV total" mit sich brachten, heute steht sie auf einen Beinen, ist Jurorin bei "The Voice Kids" und tritt regelmäßig im Fernsehen auf, als Werbegesicht oder in Musikshows.

Räumte beim ESC ab:
Selma (Island 1999)
Andere Interpreten, die im Vorfeld als Favoriten galten, schmierten jedoch ab, obwohl ihre Songs dem Zeitgeist entsprachen. "Thane erotas" von Marlain 1999, "1 Life" von Xandee 2004 für Belgien oder auch "Glorious" von Cascada waren modern, catchy und konnten sich trotzdem in der internationalen Konkurrenz nicht behaupten. Stattdessen standen in den jeweiligen Jahrgängen andere moderne Sounds wie "All out of luck" von Selma, "For real" von Athena oder "Kedvesem" von ByeAlex vor ihnen. Wer beim Eurovision Song Contest Erfolg haben möchte, muss sich inzwischen neu erfinden. Bulgarien hat dies in den letzten Jahren geschafft, der portugiesische Sänger Salvador Sobral hob sich ebenfalls von der Masse ab und berührte Jurys wie Zuschauer gleichermaßen.

Unerfolgreiche Retorten-
Band: six4one
Es bringt nicht mehr viel, möglichst viele Nationen in drei Minuten unter einen Hut zu bringen, wie es Ralph Siegel 2006 versuchte, als er für die Schweiz neben der Sängerin Claudia d'Addio auch noch Andreas Lundstedt von Alcazar, Tinka Milinović aus Bosnien, Keith Camilleri aus Malta, Marco Matias aus Deutschland und Liel aus Israel einkaufte, Trickkleider und Pyroeffekte über eine Performance hinwegtrösten zu lassen, auch der Charakter und die Persönlichkeit des Interpreten stehen inzwischen im Fokus. Die Juroren mögen einen kleinen Teil dazu beitragen, dass nicht immer nur Mainstream vorne liegt, inzwischen haben aber auch die Zuschauer genug von Stangenware und wählen Qualität, unabhängig von der Herkunft.

So sind auch die alten Bande im ehemaligen Jugoslawien gefallen, Kaliopi konnte sich vergangenes Jahr mit ihrem "Dona" nicht für das Finale qualifizieren, Kroatien setzte aufgrund der Misserfolge sogar zwei Jahre lang aus und auch Serbien landet mit seinen starken Ladies nicht mehr ganz vorne. Der Eurovision Song Contest ist auf einem guten Weg und man kann davon ausgehen, dass in den nächsten Jahren noch viele Ohrwürmer für den Wettbewerb produziert werden, ob sie nun im Nachhinein kommerziell erfolgreich sind oder nicht, primär geht es um die drei Minuten auf der Song Contest-Bühne, alles was danach für oder mit dem Interpreten passiert ist Bonus.



Poll: Die Abstimmung geht von vorne los, für den Cocktail in der kommenden Woche stehen heute die Themen "Mi corazon", "Fiddler on the roof", "Mosaik", "Blizzard & Inferno" und "Shakespeare" zur Auswahl. Zur Abstimmung geht es hier.