Samstag, 10. September 2016

Light Blue Cocktail: Fashion Queen



Europa - Lassen wir unsere diesjährige Cocktailsaison also nun mit dem letzten Thema ausklingen, das über die Wochen keinen sonderlich großen Zuspruch erhalten hat, für den Eurovision Song Contest aber einen großen Stellenwert hat. Thema heute: "Fashion Queen", es geht um die Trickkleider und Kostümtrends, die über die Jahrzehnte verteilt Meilensteile in der Geschichte des Wettbewerbs gesetzt haben, im positiven wie auch im negativen Sinne. Es ging aber stets darum aufzufallen. In manchen Jahrgängen gelang dies mit einem edlen Zwirn, in anderen Jahren musste irgendein Utensil abgeworfen werden oder komplett erneuert werden.

Lady Gaga ist ein schönes
Beispiel, wie man es schafft,
mit Kostümen Aufsehen zu erregen
Auf Anhieb fällt mir dabei die blinde Sängerin Diana Gurtskaya aus Georgien ein. 2008 sang sie, wohl wissend, dass der Abchasien- und Südossetienkonflikt in ihrem Land bald zu eskalieren drohe, ein Friedenslied. "Peace will come" zeigte die Verwandlung von einem schwarzen Mauerblümchen zu einem strahlend weißen Schwan. Die Verwandlung selbst erlebte der Zuschauer nicht mit, Grund hierfür waren ihre Backings, die eine wallende Plane über Diana fallen ließen und ihr darunter das schwarze Dress auszogen.

Solche Choreographien und Kleidertricks wären in den Anfängen des Wettbewerbs nicht auszumalen gewesen. Damals durfte ja noch nicht einmal getanzt werden. Die Interpreten standen mehr oder weniger steif auf der dafür ohnehin viel zu kleinen Bühne und trugen meist das beste Dress, das der teilnehmende Staatsfunk bezahlen mochte. Schaut man sich also Bilder der 50er oder frühen 60er Jahre an, so entdeckt man viele bodenlange Abendkleider, schwarze wie weiße Anzüge und nur wenig Glitzer, Glamour aber dafür mit elegantem Chic.

Wyn Hoop nahm 1960 für die
BRD am Song Contest teil,
heute schreibt er Segelführer
Etuikleider und Lackschuhe wurden erst über die Jahre hinweg ausrangiert. Bevor der Eurovision Song Contest in Farbe ausgestrahlt wurde, waren die Kostümfarben ohnehin egal. Wyn Hoop, der deutsche Song Contest-Vertreter von 1960, der mit "Bonne nuit, ma chérie" den vierten Platz erzielte, betont noch heute in Rückblenden gerne, dass er einen wunderschönen ochsenblutroten Anzug trug, die Zuschauer vor dem Bildschirm konnten dies allerdings nicht sehen. Erst 1969 wurde der Wettbewerb erstmals in Farbe gezeigt, eine Revolution für die damalige Zeit, heute eine antike Erinnerung. Wyn Hoop schreibt mittlerweile Reiseführer für Segler.

Renato, 1975 für Malta
Mit der Liberalisierung der Vorschriften, um den Wettbewerb am Leben zu erhalten, kamen auch die gewagteren Outfits zum Einsatz, spätestens im Jahr 1973, als Belgien mit Nicole & Hugo mit ihren weit geschnittenen violetten Kostümen auftraten, kam der Wettbewerb auch modisch im Heute an. Das Farbfernsehen ermöglichte den Kandidaten sich in den wildesten und kreischendsten Farbkombinationen zu präsentieren. 1975 war es zum Beispiel der maltesische Sänger Renato, der einen schlumpfblauen Bodysuit mit Fransen an den Armen trug und damit aussah, wie der homosexuelle Bruder von Winnetou.

Norwegen 1976, mit großer
Puck, die Stubenfliege-Brille
Dass die Skandinavier, auch heutzutage, in Sachen Mode immer einen Trend voraus sind, bewiesen sie auch 1974 mit der viel genannten Gruppe ABBA. Nicht nur, dass ihr Dirigent in eine Napoleon-Klamotte schlüpfte, auch die Bandmitglieder waren mit ihren Kostümen auf der Bühne sehr präsent. 1976 glitzerte die norwegische Sängerin Anne-Karine Strøm im goldenen Pailettenkleid, 1977 veralberte die Gruppe Schmetterlinge aus Österreich die Plattenindustrie und setzte dabei sogar auf Doppeloptik. Während sie vorne weiße Anzüge trugen, hatten sie sich schwarze Business-Anzüge der Musikfirmenbosse geschnallt.

Die Idee des Trickkleides war geboren. Ireen Sheer, die Engländerin, die 1978 in deutschen Diensten unterwegs war, sang "Feuer" und inszenierte den Vamp, indem sie zum zweiten Refrain ihr Cape abwarf. Ein Trend war geboren, später entledigten sich viele Interpreten Teilen ihrer Kostümierung. Bucks Fizz aus Großbritannien konnten den Wettbewerb 1981 sogar gewinnen, dabei rissen die Herren der Gruppe ihren weiblichen Kolleginnen die knielangen Röcke ab, kürzere Röcke kamen zum Vorschein. Diese Sequenz sieht man noch heute gern bei Dokus über die Historie der Eurovision. 

Doris Dragovic wurde 1999 in
Jerusalem Vierte
Auch heute sind Trickkleider noch beliebt, Marie N gewann 2002 mit ihrem choreographierten Tango, bei dem sie einen weißen Anzug trug und später von ihrer Tänzerin entblättert wurde, bis nur noch ein kurzes magentafarbenes Kleid übrig war, dass sich jedoch noch mit den entsprechenden Handgriffen in die Länge ziehen konnte. Doris Dragovic aus Kroatien schmiss 1999 in Jerusalem ähnlich wie Ireen Sheer ihr Cape weg, ihre Vorgängerin Danijela Martinovic verwandelte sich ebenfalls von einer schwarzen Kreatur der Nacht in eine Königin des Lichts, in dem sie zu "Neka mi ne svane" ihren ausladenden Poncho abwarf. 

2x den Song getauscht, 2x das
Kostüm getauscht: Angelica
Gleich zweimal wechselte Angelica Agurbash aus Weißrussland beim Eurovision Song Contest 2005 ihr Outfit. Zunächst stand sie in einem goldenen Laken, das aussah wie die Rettungsplane aus dem Erste-Hilfe-Kid, mit Diadem und Klunker behangen auf der Bühne, zum ersten Refrain zurrten ihre Tänzer das Ding ab, zum Vorschein kam ein opulentes blaues Kleid mit goldenen Ornamenten darauf. Ganz zum Schluss wurde auch dieses Kleid abgerissen, Angelica stand im glitzernden Hosenanzug auf der Bühne. Bei allen Wandlungstricks vergaß die Gute jedoch die Töne zu treffen, Weißrussland wurde zwar 13. im Semifinale, ihre gesangliche Qualität ist aber mindestens sechs Plätze weiter unten anzusiedeln gewesen.

Brav wie ein Kommunionskind,
aber ein furchtbares Kleid
Ganz ohne Tricks schaffte es aber ein Belgierin, durch ihr Kostüm Aufsehen zu erregen. Barbara Dex trat 1993 für den flämischen Teil Belgiens beim Eurovision Song Contest ein und rühmte sich damit, ihr Kleid selbst entworfen zu haben. Der graue Lappen, gepaart mit den quietschgelben Schuhen brachten ihr nur den letzten Platz ein, das Lied "Iemand als jij" ist vergessen, doch mit Etablierung des Internets bekam sie quasi posthum noch Ehre. Niederländische Webseitenbetreiber initiierten den Barbara Dex-Award, einen Negativpreis für das schlechteste Outfit beim Eurovision Song Contest. Dieser wird seit 1997 vergeben, jedes Jahr können die User online abstimmen, wer den größten Fauxpas begangen hat.

Auch nicht viel besser: Lydia
wollte 1999 nicht hören...
Die erste goldene Himbeere der Eurovision ging 1997 an die maltesische Sängerin Debbie Scerri. Ihr "Let me fly" war eine ganz süße Nummer, ein bisschen mystisch, ihr Kleid dagegen war die Manifestierung der Längsstreifen. Türkis und lila passen nicht zusammen, das bewies Debbie eindrucksvoll und erhielt dafür den Barbara Dex-Award. Im Jahr drauf konnte sogar Deutschland diesen Preis gewinnen. Guildo Horn mit seinem Chiffonanzug, ebenfalls in Türkis, konnte nicht überzeugen, die strähnigen Haare dürften ihr Übriges getan haben. Im Jahr 1999 erhielt die spanische Sängerin Lydia nur einen Punkt und den Barbara Dex-Award für ihr kreischendes Kostüm in Regenbogenfarben, garniert mit einem ins Dekolletée gestopften Herz.

Kampfstern Galaktika aus
Griechenland: S.A.G.A.P.O.
Im späteren Verlauf der Eurovisionsgeschichte erhielt Piasek aus Polen den Preis, er trat mit Felljacke auf, der Grieche Michalis Rakintzis mit seiner Truppe, die ausschaute wie die Belegschaft von Raumschiff Orion, Martin Vucic aus Mazedonien mit der, Zitat Peter Urban "Jacke von der Tankstelle" oder Nonstop aus Portugal mit ihren Aerobic- feat. Federapplikationen. Modernes muss nicht immer praktisch sein, schien das Motto dieses Kostüms gewesen zu sein. Auch Verka Serduchka, die Zweite von Helsinki als lebende Diskokugel wurde mit der Trophäe ausgezeichnet, wie auch Zoli Adok aus Ungarn mit seinem Perlmutt-Tanktop und die georgische Band Eldrine, deren Leadsängerin giftgrüne Spiralwürmchen vorweisen konnte.

Eric und seine lebende Schleife,
2007 in Helsinki
Zuletzt ging der Preis nach Kroatien, Nina Kraljic mit ihrem solarbetriebenen Federkleid vereinte die meisten Stimmen auf sich. Dabei trug Nina rund 20kg Kleid, was eigentlich schon honoriert werden müsste. Doch das Dress wirkte so ungünstig zum Titel "Lighthouse", dass sie in die Fußstapfen von Guildo Horn, t.A.T.u. und Gisela aus Andorra trat, die in einer bronzefarbenen Rüstung mit Insektenfühlern auftrat. Spezielle Outfits lieferte auch Österreich das ein oder andere Mal, es sei an Eric Papilaya 2007 erinnert, der sponsored by Swarovski mit mehreren Tausend Glitzersteinchen in einem großen Red Ribbon aus Federn auftrat. 

Gare du Nord, Bukarest, 22 Uhr
Jedenfalls das Outfit...
Der Song Contest rief viele Fashion Victims auf den Plan, angefangen von Corinna May mit ihrem dunkelbraunen Mantel über Michal Szpak aus Polen mit seinem Captain Morgan-Kostüm bis zu Sanda Ladosi aus Rumänien, die im Prinzip nur einen Hauch von Nichts beim Song Contest in Istanbul vorzuweisen hatte. Knappe und fast schon schlampige Outfits gab es in den letzten Jahren vorzugsweise aus Osteuropa. Tereza Kerndlová aus Tschechien beispielsweise konnte so gut wie keinen Ton halten, hatte aber mit Abstand die längsten Beine des Abends. Elena Risteska aus Mazedonien hatte 2006 die kürzesten Hotpants an, Deen im Halbfinale von Istanbul das luftigste Outfit obenrum. 

Beendeten die über 40 Jahre
dauernde Durststrecke für Finnland
Mit Ausnahme von Sakis Rouvas, der 2004 in Istanbul am Ende nur noch im Feinripp-Unterhemd auf der Bühne stand und Dritter wurde, erreichten die Kandidaten mit zu wenig Stoff keine Topplatzierungen. Dafür gewann 2006 die finnische Band Lordi, allseits bekannt als Grusel-Monster, bei denen keine natürliche Facette mehr zu erkennen war und die sich bei über 30 Grad in Athen in voller Montur an den Hotelpool legten und schwitzen mussten, wie ein Straßenbauer auf der A7 in den Sommerferien. Immer wieder gab es Kostüme, die direkt auf den Auftritt zugeschnitten waren, ähnlich wie bei Lordi.

Mit diesem Kostüm kann man
die Piratenshow im Heide Park
bestens nachspielen
Für mehr als den Barbara Dex-Award und den letzten punktelosen Platz hat es zwar nicht gereicht, aber Tschechien bot 2009 mit Gypsy.cz einen echten Superman auf, der irgendetwas auf Roma sang, Lettland schickte 2008 die Pirates of the Sea zum Song Contest, Platz 12 für die Karnevalstruppe mit Säbel und Steuerrad. Traditionell, wenn auch knapp bekleidet schickte die Ukraine 2004 Ruslana in Huzulen-Lederklamotten zum Song Contest, dafür gab es dann den Sieg. Ein Aus im Halbfinale gab es allerdings für InCulto aus Litauen, die mit Glitzer-Hotplants auftraten, etwas erfolgreicher war da schon Alyona Lanskaya für Weißrussland, die den wohl schmalsten Fransenrock aller Zeiten in Malmö präsentierte.

Glamrock, High Heels und viel
Power: Wig Wam (2005)
Die höchsten Hacken stammten auch nicht, wie vermutet von Jill Johnsson aus Schweden, sondern vom Leadsänger der Gruppe Wig Wam, die 2005 in Kiew den Glamrock noch einmal aufleben ließen und ein bisschen an Kiss erinnerten. Im 70er Jahre-Stil mit Glitzerweste und goldenen Mädels stellte Stefan Raab 2000 in Stockholm einen ganz eigenen Kleidungsstil auf, ähnlich wie Jedward 2011 in Düsseldorf, die beiden Turmfrisuren-Twins lösten die 80er Jahre-Teilnehmer in Sachen Schulterpolster locker ab. Und dann war da noch Conchita Wurst, die österreichische Diva, die privat als Tom Neuwirth auftritt und sich mit Bart in die schickste Abendrobe des Abends zwängte und mit "Rise like a phoenix" einen kolossalen Auftritt hinlegte.

Svetlana Loboda und Diana
Gurtskaya 2009 im Euroclub
Mein persönliches Beispiel, wie man sich nicht beim Song Contest anziehen sollte, lieferte aber der nächste Gastgeber, die Ukraine. 2009 schickte das Land Svetlana Loboda nach Moskau, mit einem abgewetzten Kostüm, als ob es 20 Jahre lang im Moulin Rouge aufgetragen wurde. Die zauselige Frisur und das übertriebene Make Up ließen Svetlana ziemlich schlampig wirken, immerhin reichte es aber für den zwölften Rang, ein Ergebnis von dem die Briten zwei Jahre zuvor nur träumen konnten. Scooch, als Flugzeugbesatzung verkleidet, konnten mit ihren blauen Uniformen nur den 23. Platz erreichen. Diese Uniformen wurden zumindest zugelassen, die Gruppe Takasa wollte 2013 eigentlich als Heilsarmee in den entsprechenden Outfits auftreten, die EBU schob dem jedoch einen Riegel vor.

Man könnte noch etwa 250 andere Beispiele für den Kleidungsstil beim Eurovision Song Contest nennen, das würde hier heuer aber den Rahmen sprengen. Fakt ist, beim Song Contest darf man auch mal die Grenzen des guten Geschmacks brechen um aufzufallen. Manchmal geht es in die Hose, manchmal kann man nach ganz vorne durchmarschieren, wichtiger ist aber immer der Song und von denen haben wir in den letzten Cocktail-Postings ja einiges abgearbeitet. Insofern danke ich für's regelmäßige Lesen und wünsche uns nun eine fröhliche neue Song Contest-Saison mit allem was dazugehört.