Samstag, 30. Juli 2016

Violet Cocktail: Alpha & Omega



Europa - Es ist wieder Samstag und das bedeutet, dass wir wieder einmal die Archive des Eurovision Song Contests durchwühlen, auf der Suche nach unserem heutigen Cocktail. Gewählt wurde das Motto "Alpha & Omega", womit sogleich sämtliche Song Contest-Beiträge aus dem Rennen sind. Es geht heute um die Opener und die Pausenfüller vor und nach den Beiträgen des Wettbewerbs, 1956 mit Les Joyeux Rossignols gab es erstmals einen Interval-Act, heutzutage holt sich die EBU Topstars wie Justin Timberlake um das Publikum in der Wertungspause bei Laune zu halten.


Der Interval von Brighton:
The Wombles
Der Eurovision Song Contest ist mittlerweile keine Show mehr, die ausschließlich am Samstagabend im Ersten zu sehen ist. Ganze zwei Wochen dauert das Event, die Olympischen Spiele der Musik ziehen sich von der ersten Bühnenprobe bis hin zur Pressekonferenz des Gewinnerlandes. Hat es früher noch ausgereicht, ein paar Tänzer und Gaukler im Rahmenprogramm auftreten zu lassen, so galt zumindest in den letzten Jahren das Motto "Größer, besser, mehr". Der Eurovision Song Contest ist vom Galaabend in kleinen Locations zu einem Megaevent in großen Hallen mutiert und das spiegelt sich auch in seinen Pausenfüllern wieder.

Prima Plattform für die neue
Single: Justin Timberlake
In diesem Jahr beispielsweise gab es verschiedene Teile aus denen der Interval bestand. Da war natürlich zum einen der groß angekündigte Justin Timberlake, der nach einer kreativen Auszeit mit dem Song "Can't stop the feeling" wieder für Aufsehen sorgte und in vielen Teilen Europas wesentlich erfolgreicher war als sämtliche Song Contest-Beiträge. Der Song stieg in die europäischen Charts ein und wird auch zwei Monate später sehr oft im Radio gespielt. Ergänzt wurde der Pausenfüller von Stockholm durch eine Gesangseinlage der Gastgeber. Petra Mede und Måns Zelmerlöw musizierten zu den angeblich in der Schweiz in Moleküle zerlegten Ergebnissen, was denn einen Eurovisionssieger ausmacht.

Auch das griechische Helenchen
nutzte 2006 die Chance zur PR
Scriptwriter Edward af Sillén schuf den Song "Love love, peace peace", der alles vereinte, was in den letzten Jahren erfolgreich war. Ein Intro wie bei Ruslana 2004, Trommeln, Großmütter, Folkloreinstrumente, halbnackte Tänzer, Schnee und Feuerwerk und so weiter. Es war für mich der unterhaltsamste Interval seit Jahren. Måns durfte zusätzlich noch sein neues Lied vorstellen, eine Ehre die bereits einigen Song Contest-Interpreten zuteil wurde. So trat Helena Paparizou mit ihrem Song "Mambo" im Pausenprogramm von Athen auf oder auch Ruslana im Jahr zuvor mit ihrem "Wild passion".

Das Dreamteam von Düssel-
dorf: Stefan Raab & Lena
Sertab Erener, die 2003 den ersten und bis heute einzigen Sieg der Türkei einfuhr, durfte den Song Contest 2004 in Istanbul mit ihrem Song "Aşk" eröffnen und auch Dima Bilan hatte 2009 in Moskau das Privileg die Show zu eröffnen und rannte sich auf einem installierten Laufband einen Wolf. Den wohl größten Eröffnungsact einer ehemaligen Teilnehmerin legte Lena Meyer-Landrut 2011 in Düsseldorf hin. Stefan Raab und seine Heavytones zündeten ein Feuerwerk in der Esprit Arena, das sich sehen lassen konnte. Stefan ließ es sich nicht nehmen den großten Entertainer zu spielen, der an der Gitarre und am Schlagzeug eine souveräne Figur machte und gemeinsam mit 42 Lena-Doubles und dem Original eine Rockabilly-Version von "Satellite" präsentierte.

Sorgte in der Votingpause für
Kurzweil: Jan Delay
Matthias Opdenhövel merkte später scherzhaft an, dass das halbe Produktionsbudget des Eurovision Song Contests bereits für das Opening draufging. In Düsseldorf durfte dann mit Jan Delay einer der erfolgreichsten deutschen Künstler aus seinem Repertoire singen. Im Finale sang er vor über 10.000 Fans in der Halle "Klar" und "Oh Jonny". In den Halbfinals setzte der NDR eher auf akustische und optische Elemente, lud man so die Cold Steel Drummers für das erste Halbfinale ein und ließ die Flying Steps zu den Klängen von Johann Sebastian Bach tanzen. Die Formation gründete sich bereits 1993 in Berlin und war für ihren Contemporary Dance zu klassischer Musik bekannt. 

Ging einigen Ultraortodoxen
zu weit: Dana International
Ansonsten wurde beim Eurovision Song Contest im Pausenprogramm sehr viel getanzt. Das türkische Fernsehen TRT bot beispielsweise die Tanzgruppe Anadolu Ateşi (Fire of Anatolia) auf, bei der über 120 Tänzer traditionelle Derwish-Tänze mit modernen Moves in fünf Minuten quetschten. Eine Provokation wagte 1999 das israelische Fernsehen. Nach dem Sieg von Dana International, der ersten transsexuellen Sängerin im Wettbewerb in Birmingham, ließ man sie vor den alten Stadtmauern von Jerusalem auftreten. Zunächst gab es eine jemenitische Darbietung von zahllosen Tänzern, die zum Titel "Dror yikra" fast schon einen Ritualtanz vollzogen. Als Symbol der Offenheit und Toleranz sang Dana später "Free" von Stevie Wonder.

Vanessa Mae & Lesely Garrett
1998 in Birmingham
Die Intervalacts präsentieren oftmals die traditionellen Elemente des Gastgeberlandes. Das Portfolio kennt hierfür nahezu keine Grenzen, 1998 kündigte Moderator Terry Wogan z.B. das Ensemble "Jupiter, The Bringer of Joviality" an. Stellvertretend für die kulturellen Einflüsse der ehemaligen Kolonien und der heutigen Gesellschaft Großbritanniens, begleitet vom großen Liveorchester, das letztmals beim Eurovision Song Contest eine Rolle spielte, lieferten ein schottischer Trupp Dudelsackspieler, ein irischer Flötenspieler, indische Banghra-Tänzer, ein Männerchor, afrikanische Tänzer, die Stargeigerin Vanessa Mae und die Sopranistin Lesley Garrett beste Unterhaltung nach britischem Muster.

Nur Interval im Halbfinale:
Alexander Rybak und Lena
Noch eine Spur folklorelastiger war etwa der Semifinal-Act in Baku. Die Gruppe Natiq stellte dem europäischen Publikum die Mundart Muğam vor. Und auch im zweiten Semifinale ließ sich der Gastgeber Aserbaidschan nicht lumpen und initiierte für viel Geld einen Mash Up von traditioneller aserbaidschanischer Musik zu den Beiträgen der letzten fünf Eurovisionssieger Dima Bilan, Marija Šerifović, Alexander Rybak, Lena und Ell & Nikki, die man eigens für den achtminütigen Auftritt einfliegen ließ. Alle gemeinsam stimmten zum Schluss sogar noch "Waterloo" an, die Abstimmung aufeinander wirkte jedoch so, als hätte es für diesen Auftritt keine Probe gegeben. Im Finale selbst durfte dann mit Emin Agalarov einer der bekanntesten Popstars des Landes seinen Titel "Never enough" singen.

Goran (rechts) und seine Hoch-
zeits- und Beerdigungsband
Viel Folklore gab es auch 2008 in Belgrad. Serbien war erstmals Gastgeber und präsentierte das komplette Portfolio seiner Musikkultur, von Slobodan Trkulja & dem Metropolitan Orkestar im Halbfinale bis hin zum gefeierten Goran Bregović der gemeinsam mit seiner Wedding and Funeral Band auftrat. Bregović, der 2010 "Ovo je Balkan" für Milan Stanković komponierte, tourt derzeit durch die kleinen und großen Locations Europas, so ist für Mitte August ein Auftritt in der Fabrik in Hamburg angesetzt. Lokale Berühmtheiten durften auch 2007 auftreten, die finnische Band Apocalyptica gestaltete die Wertungspause von Helsinki.

Die letzten Interval-Acts des Eurovision Song Contests:
2016 - Justin Timberlake - Can’t stop the feeling 
2015 - Conchita Wurst - You are unstoppable 
2014 - Emmelie de Forest - Rainmaker 
2013 - Loreen - Medley / Sarah Dawn Finer - The winner takes it all 
2012 - Emin Agalarov - Never enough 
2011 - Jan Delay - Oh Jonny / Klar 
2010 - Madcon - Glow 
2009 - Fuerza Bruta / Dance Performance 
2008 - Goran Bregović & his Wedding and Funeral Orchestra 
2007 - Apocalyptica 
2006 - Helena Paparizou - Mambo 
2005 - Ruslana - Wild passion 
2004 - Fire of Anatolia 
2003 - Music of Latvia (Iļģi, Brainstorm, Marie N und Raimonds Pauls) 
2002 - Estonian Television Children’s Choir 
2001 - Aqua feat. Safri Duo 
2000 - “Once upon a time Europe was covered with ice” 
1999 - Dana International - Dror yikra / Free 
1998 - Jupiter - The bringer of joviality 
1997 - Boyzone 
1996 - “Beacon Burning

Schwarzlichtkunst aus dem
Jahre 1984 in Luxemburg
Es musste jedoch nicht immer nur die Musik im Vordergrund stehen, 1974 beispielsweise, als ABBA sich unsterblich machten, zeigte die britische BBC einen kurzen Clip mit den Wombles, teddybärähnlichen Monstern, die den Geschichten der Kinderbuchautorin Elisabeth Beresford entstammten. Zehn Jahre später gab das Prague Theatre of Illuminated Drawings einen Einblick, was man mit einem paar Seilen und etwas Schwarzlicht anstellen konnte. In den 60er und 70er Jahren gab es zudem diverse Artisten, die sich fast schon im Zirkusmillieu bewegten und halsbrecherische Kunststücke auf Fahrrädern etc. präsentierten.

Von den Russen eingekauft:
Der argentinische Zirkus
Das führt auch nahtlos zum Eurovision Song Contest 2009 in Moskau. Russland war mächtig stolz auf den ersten Wettbewerb im eigenen Land, Wladimir Putin persönlich beobachtete die Vorbereitungen und ließ sich bei den Proben blicken. Es war eine pompöse Show, die leider an der starren Eiseskälte der Perfektion scheiterte. Gaben die Tolmachevy-Twins mit ihrem Junior Eurovision Song Contest-Lied und das Kostroma-Ensemble der russischen Luftwaffe für die Semifinals her, so ließ man zur Eröffnung des Finals den kanadischen Cirque du Soleil antreten, eine weltweit erfolgreiche Choreographie-Truppe, die bestimmt nicht günstig war. Und auch der Interval mit dem argentinischen Wasserballett Fuerza Bruta dürfte den russischen Staat um eine Sesterzen erleichtert haben.

Einen, ob des Zeitpunkts, bewegenden Pausenfüller zeigte das jugoslawische Fernsehen beim Eurovision Song Contest 1990 in Zagreb. Unter dem Titel "Yugoslav Changes" zeigte JRT einen Film, der für den Fremdenverkehr Großes bewirken sollte, mit Impressionen aus allen Landesteilen, vom Wintersport in Bosnien über Traumstrände in Kroatien, historische Bauten in Belgrad etc. Die Kommentatorin fasste es geschickt zusammen: "Jeder Sponsor, der diese Veranstaltung finanziell unterstützt, darf einmal durch's Bild huschen." Und so war es dann auch, zeigte der Film doch eindrucksvoll anhand von schönen Bildern, wie verschieden die Interessen und Menschen des Vielvölkerstaats doch waren. Die Folgejahre zeigten dann den Krieg und die Auflösung des Landes, das 1990 noch den Eurovision Song Contest ausrichtete.

Magie? Arturo Brachetti
1991, beim Katastrophen-Wettbewerb von Rom, den die Moderatoren Gigliola Cinquetti und Toto Cutugno kaputt moderierten, trat ein Zauberer auf, Arturo Brachetti. Der Verwandlungskünstler schaffte es, sich in wenigen Augenblicken von der dicken Opernsängerin in einen Samurai zu verwandeln. Bis heute habe ich übrigens noch nicht verstanden, wie er es geschafft hat, aus zerkauter Watte ein halbes Wollkneuel zu formen. Hat jemand eine Idee? Die Zaubereinlagen waren gefühlt das einzig strukturierte an diesem Abend. Brachetti tritt auch heute, über 20 Jahre später noch mit seinen Kunststücken auf.

Aqua nutzten die große Halle
für ihr eigenes Konzert
Ebenfalls tritt die dänische Band Aqua heute noch gemeinsam auf. Beim Eurovision Song Contest 2001 in Kopenhagen gab der erfolgreichste Musikexport des Landes ein Medley aus bekannten Hits wie "Barbie Girl", "Around the world" oder "Dr. Jones". Es war vorläufig einer ihrer letzten Auftritte, kurz nach dem Eurovision Song Contest trennten sich Lene Nystrøm, René Dif, Søren Rasted und Claus Norreen, um schließlich im Jahr 2007 wieder zusammenzufinden. Neben dem 90er Trashpop durfte auch das damals sehr gefragte Percussion-Team vom Safri Duo das Parken Stadion rocken. Getrübt wurde der Eurovision Song Contest 2001 allerdings durch zwei schreckliche Ereignisse an jenem Abend, zum einen durch die Explosion einer Feuerwerksfabrik in Enschede in den Niederlanden und zum anderen durch die sehr unspontane Moderation in Reimen durch Nastassija Krone und Søren Pilmark. 

Marlène tanzt vor dem Toaster
von München, 1983
Einen ebenso erfolgreichen Popact wie Aqua wählte RTÉ 1997 in Dublin aus. Ronan Keating und Carrie Crowley moderierten die Show, so war es nur logisch, dass Ronans Band Boyzone auch das Pausenprogramm gestalten durfte, ebenso wie Morten Harket 1996 in Oslo PR in eigener Sache machen durfte. Nachdem sie langatmig in drei Sprachen erklärte, was nun gleich geschehen würde, tanzte Moderatorin Marlène Charell beim Eurovision Song Contest 1983 in München den Wettbewerb zu ihrer eigenen großen Gala. Eröffnet wurde der erste selbstverdiente Eurovision Song Contest auf deutschem Boden übrigens durch ein elendig langes Tourismusvideo. 

Jean Butler und Michael
Flatley prägten Riverdance
Die Schweden 1992 nannten ihren Interval gleich "A century of dance", am bekanntesten dürfte jedoch der internationale Durchbruch von Riverdance am 30. April 1994 beim Eurovision Song Contest in Dublin sein. Erst der Auftritt im Pausenprogramm machte die keltischen Tanzeinlagen um Jean Butler und Michael Flatley, unterlegt von der Musik von Bill Whelan zum weltweiten Dauerbrenner. Kein anderer Interval wurde so sehr gefeiert wie der irische Stepptanz, der über zwei Jahrzehnte die Hallen der Welt füllte. Rückblickend haben die Iren alles richtig gemacht, Dublin durfte 1995 noch einmal Gastgeber der Eurovision sein, den Siegerbeitrag "Rock'n'Roll Kids" von Paul Harrington & Charlie McGettigan kennt heute kein Mensch mehr, der sich nicht Eurovisionsfan schimpft, Riverdance hat aber jeder im Kopf.

"Glow", der Song von Madcon
zum Flashmob Dance in Oslo
Nicht unter den Tisch kehren dürfen wir aber auch Madcon. Es war der 29. Mai 2010, jeder Eurovisionsfan kennt dieses Datum als Sieg von Lena in Oslo. Dort, in der Telenor Arena gab es vor dem großen Jubel aus deutscher Sicht noch einen der "most memorable moments" der jüngeren Eurovisionsgeschichte, nämlich den Interval-Act durch das Duo Madcon. Bereits im Vorfeld des Wettbewerbs stellte die EBU Videos online, eine Selfmade-Anleitung für den Flash Mob Dance, der am Finalabend ganz Europa einholte, am Rheinufer in Düsseldorf, in Dublin, Ljubljana, Vilnius, überall wurde zu "Glow" getanzt. Madcon starteten nach dem Song Contest ihre große Karriere, die zuvor primär nur auf Skandinavien beschränkt war. Mit diversen Songs stiegen sie im Anschluss auch hierzulande in die Hitlisten ein. 




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