Donnerstag, 21. Juli 2016

Kommentar: Sommer-Overkill, Ostukraine und etwas Musik


Europa - Spätestens seitdem ich gestern Abend auf dem Weg nach Hause am Jungfernstieg 31°C auf dem Thermometer gesehen habe und die Stadt unter der Hitzeglocke vor sich hinsiecht, kann ich nur bescheinigen, dass der Sommer definitiv angekommen ist. Und gleichzeitig bringt er auch die Leere mit, die jedes Jahr auf's Neue die Eurovisionswelt brach liegen lässt. Bis wir unseren ersten Medaillenspiegel aus Rio posten können, dauert es auch noch zwei Wochen...

Hat das Slavianski Bazar-Fes-
tival gewonnen: Alexey Gross
Nutzen wir die Zeit also, einmal nach Weißrussland zu blicken. Das Land, das beim Eurovision Song Contest immer irgendwo zwischen Fremdschämen und billigen Europop-Nummern einzuordnen ist, veranstaltete in dieser Woche zum 25. Mal das Slavianski Bazar-Festival in der Stadt Wittebsk und kann auch auf einige internationale Gäste zurückblicken, die in der Vergangenheit teilgenommen haben. Eben dort siegte kürzlich Alexey Gross, den wir bereits von Vorentscheiden für die Eurovision kennen.

Alexey ist der fünfte Weißrusse, der das Festival für sich entscheiden konnte, wenn auch nur mit einem knappen Vorsprung vor dem Kasachen Adam. Zuletzt hatte Alyona Lanskaya die Trophäe in Weißrussland verteidigt. Neben dem musikalischen Wettbewerb finden in der Stadt auch eine Reihe von Theater- und Filmvorführungen statt. "Die Stadt verändert sich während des Festivals. Die Veranstaltung lockt ungefähr 150.000 Besucher an.", erklärt der Veranstalter Aleksander Sidorenko. 

Zum musikalischen Talent der weißrussischen Interpreten hat sich im Zuge des Festivals auch der Song Contest-Sieger von 2009, Alexander Rybak gemeldet, der selbst aus Minsk stammt. "Sie wachsen, sie werden immer bekannter und weltoffener. Ich glaube, Weißrussland ist weit vor allen anderen osteuropäischen Ländern. Sie sind bereit für die ganze Welt.", wird er zitiert. Wann genau dieses Talent zum Eurovision Song Contest herüberschwappt, bleibt allerdings abzuwarten, für 2017 gibt es vom Sender BTRC bisher noch keine Rückmeldung.

Auch in Deutschland ist es ruhig geworden um den Wettbewerb, bislang gibt es keinerlei Informationen zu einem deutschen Vorentscheid im nächsten Jahr, nur eine formlose Bestätigung der Teilnahme in der Ukraine wurde bisher ausgegeben. Damit ist Deutschland momentan auf dem gleichen Stand wie etwa Irland oder Österreich. Stattdessen hat das isländische Fernsehen RÚV mittlerweile verlauten lassen, dass man höchstwahrscheinlich im nächsten Jahr dabei ist, final festlegen wollte man sich in Reykjavik noch nicht, es ist aber offenbar nur eine Formsache, bis die offizielle Bestätigung erfolgt.

Momentan wird übrigens im ukrainischen Fernsehen darüber diskutiert, welche der sechs Bewerberstädte die besten Voraussetzungen für die Ausrichtung des nächsten Eurovision Song Contests bietet. Cherson, Charkow, Lviv, Dnipro, Kiew und Odessa haben sich offiziell beworben, morgen präsentiert der Sender NTU, welche beiden Destinationen als Vorschläge bei der EBU eingereicht werden. Nach dem Sichten der Gegebenheiten vor Ort, wird die Entscheidung des Austragungsortes am 1. August erfolgen. Als realistisch dürften dabei die Initiativen von Kiew und Lviv gelten. Die einzige größere Stadt, die kein Interesse hat, ist Donezk, die größte Stadt in der politisch umstrittenen Ostukraine.

Auch in Donezk geht das Leben
weiter: mit DonMak
Das Sommerloch hat auch etwas Gutes, es wird nicht über die politischen Elemente beim Eurovision Song Contest diskutiert. Nach dem Sieg von Jamala gab es einen kurzen Aufschrei und Worte der Ablehnung, sowohl auf ukrainischer als auch auf russischer Seite. Heute kommt davon in den westeuropäischen Medien nichts mehr an, in der Nähe von Donezk finden nach wie vor Gefechte statt, auch wenn sich in der Stadt eine Art der Normalität einkehrt. Der Flughafen von Donezk ist eine einzige Ansammlung von Schutt, viele Geschäfte sind mit Holzplanken zugenagelt, viele westliche Filialen sind abgezogen. So wurde aus den Restaurants von McDonalds beispielsweise die provisorische Kette DonMak. 

Meine Theorie: Wir stehen
auch 2017 wieder im Regen
Spätestens wenn die Bekanntgabe der ausrichtenden Stadt die Runde machen wird, wird es auch wieder politische Diskussionen um die Ukraine geben. Am Ende wird es so sein, dass Russland aus Prinzip einen Beitrag schickt, dem durchaus ein politischer Unterton beizumessen sein wird, die EBU wird bekräftigen, dass der Wettbewerb in Kiew oder wo auch immer gesichert ist und den Standards gerecht wird, Deutschland wird sich bei seinem Vorentscheid vergreifen, am Ende wird Barbara Schöneberger von der Reeperbahn unserem Kandidaten, der ca. auf Platz 19 landet, den Rücken stärken. Kurz vor dem Song Contest wird es dann um Menschenrechte gehen, um die Krim, um die Frage ob das Lied aus Ungarn, Litauen, Finnland ein Plagiat ist, Song Contest-Insider werden absurde Theorien aufstellen und Griechenland wird es wieder ins Finale schaffen. 

Manche Dinge sind einfach vorhersehbar, manchmal sind lieb gewonnene Traditionen einfach nicht wegzudenken. Auch wenn es früher darum ging, was wir den Österreichern getan haben, dass sie uns mit einem Punkt abstrafen, heute geht es darum, ob die schwule Community in der Ukraine sicher ist und ob man den Wettbewerb in einem Land stattfinden lassen darf, das scheinbar unregierbar und zerrüttet ist. Bis es soweit ist, wabert die deutsche Nachrichtenlandschaft zwischen Randmeldungen wie der Nominierung von Richter Alexander Hold für das Bundespräsidentenamt, wird Russland-Bashing rund um die Olympischen Spiele betrieben und der Türkei nach und nach die demokratische Führung abgesprochen. 

Zuletzt häufiger im TV als
die Krim: Antoine Griezmann
Europa trifft sich 2017 nach abgeflauter Flüchtlingskrise, Terroranschlägen in diversen Ländern, dem Brexit und der Europameisterschaft, die Antoine Griezmann nicht im eigenen Land halten konnte unter schwierigen Bedingungen. Man hat ein bisschen das Gefühl, Europa befindet sich in einer Art Wachkoma, hoffen wir, dass der Eurovision Song Contest wenigstens an den drei Abenden seiner Austragung ein bisschen das Wir-Gefühl aufkommen lässt, dass Toto Cutugno 1990 in Zagreb besungen hat oder wie es sogar eine Stadt in Weißrussland vermittelt, einem Land, dass bei vielen Menschenrechtlern auf dem Index steht. Selbst dort schafft man es, fröhliche und nicht inszenierte Musikshows zu veranstalten, warum sollte das dann nächstes Jahr nicht auch in der Ukraine möglich sein?