Samstag, 23. Juli 2016

Brown Cocktail: Oh Tannenbaum



Europa - In dieser Woche herrschte endlich einmal richtiges Cocktailwetter in Deutschland, mit Temperaturen, die die 20 Grad-Marke locker geknackt haben und offenbar dadurch beeinflusst, stimmten die meisten User in dieser Woche für "Oh Tannenbaum". Ein Motto, das nach Zimtsternen, Weihnachtskugeln und Räuchermännchen schreit, vielmehr aber der Deckname für den slowakischen Auftritt von 2010 ist, als Kristina mit ihren Backings auftrat, die sich als Bäume verkleideten. Heute geht es um die Gimmicks beim Eurovision Song Contest.


Kristina und ihre vier Bäume
für die Slowakei 2010
Requisiten sind beim Eurovision Song Contest zur Untermalung der Botschaft des Liedes kaum mehr wegzudenken. Es gab Jahrgänge, da musste einfach irgendetwas mit auf die Bühne genommen werden, um beim Publikum Eindruck zu hinterlassen. Diesen Trend gibt es aber nicht erst seit Einführung des Televotings, sondern bereits seit seinen Anfängen, als man die Juroren noch bezirzen musste. Namenspatin dieses Beitrags ist die slowakische Sängerin Kristina Pelaková, die mit "Horehronie" 2010 in Oslo dabei war und im Vorfeld als Mitfavoritin unter den Fans galt. Das Lied handelte von den weiten Landschaften der Tatra mit ihren Wäldern. Es war daher nur logisch, die Tänzer dementsprechend zu kleiden.


Francesca Michielin und ihr
Hobbygarten, Italien 2016
Genützt hat es jedoch nicht viel, wie auch alle anderen slowakischen Beiträge seit dem Comeback 2009 schied Kristina, nicht zuletzt wegen ihrer etwas zu zarten Stimme im Semifinale aus. Die Kostüme blieben dafür in Erinnerung. Es soll aber weniger um die Kostüme gehen, sondern um die kleinen und großen Accessoires, die die Interpreten mit auf die Bühne nahmen. Ein aktuelles Beispiel ist dabei Francesca Michielin, die über zwischenmenschliche Beziehungen sang, jedoch einen ganzen Flohmarkt auf der Bühne auspackte. So stand sie auf einem kleinen Streifen Gras, hinter ihr zeigten die Italiener auf Eisenstangen aufgespießte Blumen, Obst, Kartoffeln, Sonnenbrillen oder Kleintiere.


Musik mit Müllsäcken und
Gartenhaken, Schweiz 1979
Mit dem Lied selbst hatte das nicht viel zu tun, machte die Bühne aber ein ganzes Stückchen bunter. Das man auch mit Trödel wie Francesca erfolgreich sein kann, zeigten einst die Schweizer. Immerhin 60 Punkte gab es 1979 für die Schweiz, Platz 10 für Peter, Sue & Marc, die ihr Land mehrfach in verschiedenen Sprachen vertreten haben und sich für die Darbietung von "Trödler & Co" Verstärkung von Pfuri, Gorps und Kniri holten. Dabei versuchten die Schweizer mit allerhand Tand zu musizieren, etwa mit Gießkannen und Gartenschläuchen mit denen man Töne erzeugte. Zitat: "In alten Sachen die überall steh'n, da schlafen manchmal die schönsten Ideen (...) und was in so einer Gießkanne steckt, klingt als Trompete perfekt."


Margot Hielscher trat via
Telefon mit der Welt in Kontakt
Schöne Ideen hatten auch die deutschen Interpreten, sogar schon wesentlich früher. Die von mir hoch verehrte Margot Hielscher hatte schon beim zweiten Eurovision Song Contest die Macht der Requisiten erkannt. So brachte sie neben internationalen Sprachfetzen auch ihren Festnetzanschluss zum Song Contest nach Frankfurt mit ("Telefon, Telefon") und hielt bedeutungsschwanger den Telefonhörer in die Kamera. Im Folgejahr durfte Margot noch einmal für die Bundesrepublik starten, verkleidet als Miss Jukebox. Sie sang "Für zwei Groschen Musik" und zeigte, wie andere Leute ihre Dias verschiedene Schallplatten ins Objektiv. Margot Hielscher, die mittlerweile weit über 90 Jahre alt ist, erreichte den vierten und siebten Platz.


Heute sind wir mal ein bisschen
blöd: Mouth & McNeal (1974)
Manchmal bringen auch die kleinen Gimmicks eine ganze Menge, es muss nicht immer ein brennendes Klavier wie bei Paula Seling & Ovi oder The Makemakes sein, es kann schon eine Hand voller Glitzer, die man in die Kamera pustet, reichen, wie es etwa Ira Losco 2002 in Tallinn tat und damit Zweite wurde. Oder die belgische Gruppe Telex, die ihren Titel "Eurovision" mit einer Schalchoreographie unterlegten, sowie Mouth & McNeal aus den Niederlanden, bei denen der Sänger zu "I see a star" mit einer Puppe herumhampelte oder Teach-In, die Sieger von 1975, die zum Ende eine Christbaumkugel zerschlugen. A Friend In London kickten 2011 einen großen Plastikball ins Auditorium in Düsseldorf und auch Guildo Horns Glockensolo in Birmingham, bei dem er mit Kuhglocken bimmelte, ist heute fast schon eine dezente Einlage. Im Laufe der Jahre wurden die Requisiten teilweise zu ganzen Bühnenbildern.


Kalomoira, hier bei der Probe,
brachte das Umbaukonzept
ziemlich durcheinander
Der Sieg von Dima Bilan 2008 beispielsweise war eine einzige Requisitenshow, hatte man doch den ungarischen Stargeiger Edvin Marton und einen russischen Eiskunstläufer namens Yevgeni Pluschenko auf einer Trockeneisplatte im Schlepptau. Der Eurovision Song Contest 2008 in Belgrad war ein Festival für Requisiten, auch die griechische Sängerin Kalomoira nutzte den Trend für sich und brachte ein großes blumenbesetztes Herz mit. Eigens dafür musste vor dem letzten Beitrag im Semifinale zwischen Russland und Griechenland eine kurze Umbaupause vorgenommen werden, die die Moderatoren überbrückten. Auch die Zweitplatzierte Ani Lorak aus der Ukraine ließ sich nicht lumpen und brachte vier Spiegelboxen mit, in denen ihre sexy Tänzer stecken. 

Mit zu viel Krimskrams kann man allerdings auch im Semifinale steckenbleiben. So landete Dustin the Turkey aus Irland mit seinem "Irelande douze points" auf den Restplätzen. Der nicht sichtbare Sänger von Kunstfigur und Handpuppe Dustin saß in einem Einkaufswagen, über den eine kunstvoll verzierte Schreibtischplatte mit allerlei Ramsch gestülpt wurde. Auch hatten die Esten das Nachsehen, die ihren völlig durchgeknallten Titel "Leto svet" auf Serbisch, Finnisch und Deutsch sangen und mit versinnbildlichenden Schildern garnierten, auf denen u.a. Zwiebeln oder Käse zu sehen war. Mitgebrachte Transparente beim Song Contest sind kein Erfolgsgarant, sowohl der Protestsong aus Portugal 2011 als auch der Titel "Euro Neuro" aus Montenegro, bei dem auch noch ein trojanischer Esel dabei war, schieden im Halbfinale aus.

Einige mitgebrachte Requisiten von Eurovisionsteilnehmern:
- Farid Mammadov, Aserbaidschan 2013 (Glaskasten für Tänzer) 
- Eva Rivas, Armenien 2010 (Urne, Springbrunnen und Aprikosenbaum) 
- Ruslan Alekhno, Weißrussland 2008 (fahrbare Leuchtkugeln) 
- Las Ketchup, Spanien 2006 (Schreibtischstühle) 
- Zdob si Zdub, Moldawien 2011 (Spitzhüte und Einrad) 
- Rebeka Dremelj, Slowenien 2008 (Hundeleinen und Motorradhelme) 
- Alex Swings, Oscar Sings, Deutschland 2009 (aufblasbares Lippensofa) 
- Peter Nalitch & Friends, Russland 2010 (Foto der verflossenen Liebe) 
- 4fun, Litauen 2007 (Schattenwand) 
- Kraljevi Ulice & 75 Cents, Kroatien 2008 (Blutkonserven und Turntable) 
- The Jet Set, Polen 2007 (Käfig)*
- Sieneke, Niederlande 2010 (Drehorgel) 

*Neben Polen setzten auch die Türkei 2011 mit Yüksek Sadakat und Zypern 2016 mit Minus One auf Käfige


Eric Papilaya, mit dem Red
Ribbon für Österreich (2007)
Die Liste von Requisiten lässt sich beliebig fortsetzen. So brachte Alf Poier 2003 aufgrund der Bestimmung, dass lebende Tiere auf der Song Contest-Bühne nichts zu suchen haben eine Auswahl von Papptieren mit, die Österreich bis auf Platz sechs brachten. Österreich versuchte sich vier Jahre später mit Eric Papilaya, der den offiziellen Song zum Life Ball, einer AIDS-Charity in Wien vorstellte und eine große rote Schleife aus Federn auf die Bühne schleppte, in der sogar noch die Tänzer versteckt wurden. Puppen und Kerzenständer brachte auch DJ Bobo 2007 mit. DJ Bobo ist vor allem für seine pompösen Bühnenshows bekannt, die von zahllosen Tänzern begleitet werden. In Helsinki durfte er jedoch nur noch fünf Backings mitnehmen, sodass das Rest seiner Vampirformation durch Wachsfiguren aufgefüllt wurde. DJ Bobo ging ähnlich wie Eric Papilaya im Semifinale unter.


Zdob si Zdub und ihre
trommelnde Großmutter
Ein Moment, der bis heute positiv in Erinnerung geblieben ist, ist die trommelnde Oma der Moldawier 2005 beim Debüt in Kiew. Es war ein sehr kluger Schachzug der Gruppe Zdob si Zdub die in Tracht gekleidete Lidia Bejenaru als Großmutter mit auf die Bühne zu holen, zunächst saß sie in ihrem Schaukelstuhl und beobachtete das Geschehen, später schlug sie ausgelassen auf die Trommel. Damals gab es den sechsten Platz für den moldawischen Einstand, ein Ergebnis, das das Land bis heute nicht mehr erreicht hat. Großmütter kommen immer gut an, 2012 schickte Russland die sechs udmurtischen Grannies von Buranovskiye Babushki nach Baku. Platz zwei gab es für die Damen, die neben ihrem Lied auch noch die Zeit fanden, Brot im Steinofen zu backen, den man natürlich prominent auf der Bühne in Szene setzte.


Viel Show in drei Minuten:
Laka für Bosnien-Herzegowina
Gerade osteuropäische Nationen bedienten sich an Gimmicks, Laka aus Bosnien-Herzegowina hatte 2008 neben einem Rudel Bräute auch noch eine Wäscheleine dabei, ein lebendes Huhn, wie bei der Präsentation seines Beitrags in Bosnien, wurde von der EBU verboten. Die Ukraine steuerte 2009 eine Höllenmaschine, ein großes Metallungeheuer bei, das rauchte, blinkte und sich im Kreis drehen konnte. 2014 musste der Sänger von Maria Yaremchuk im großen Hamsterrad Kalorien verbrennen, im gleichen Jahr zeigten Donatan & Cleo die Reize polnischer Frauen, die sich am Waschbrett und bei der Butterherstellung recht offenherzig vergnügten. Der Auftritt von den Pirates of the Sea aus Lettland 2008 war ohnehin ein einziges Gimmick, die Piraten um Leadsänger Roberto Meloni hatten sich nicht nur maskiert, sondern u.a. auch ein Steuerrad dabei.


Bei British Airways wollte
sie wohl niemand mehr haben
Etwas verloren wirkten hingegen einige westeuropäische Versuche, Osteuropa die Stirn zu bieten. Les Fatals Picards 2007 beispielsweise hatten außer einer Nackenrolle in Form einer Katze, aufgenäht auf die Schulter eines Bandmitgliedes nichts entgegenzusetzen. Auch die britischen Flugbegleiter von Scooch wirkten mit ihren Servierwagen mit aufgedruckten Landesflaggen sämtlicher Teilnehmer und ihren Nüsschen sowie zwei Flaschen Champagner ziemlich hilflos. Ein ähnliches Resultat gab es für die dänische Dramaqueen DQ, die eine übergroße Krone dabei hatte oder The Ark aus Schweden, deren Leadsänger Ola Salo sich auf einer Drehscheibe räkelte. Erfolgreicher war im gleichen Jahr die Slowenin Alenka Gotar, die sich eine Leuchtdiode in die Hand einpflanzen ließ und damit schaurig vor ihrem Gesicht herumwedelte.

Der Eurovision Song Contest hat seinen Schwerpunkt offiziell auf dem musikalischen Aspekt, allerdings steht es jedem Land frei, seine Performance mit jeglichem Schnickschnack zu verschönern. Selbst das kleine San Marino hat bei Valentina Monettas dritter Performance ein großes Bettlaken in eine Muschel verwandelt. Bei der Verwendung von Gimmicks kann weniger jedoch manchmal mehr sein. Wenn das Lied eine Katastrophe ist, hilft auch das Ablenken durch die Show nichts, ein perfektes Beispiel hierfür ist der georgische Beitrag von 2014, als die Gruppe The Shin einen Paraglider mit auf die Bühne brachte, der so fehl am Platz wirkte, wie Lordi bei "Kinderquatsch mit Michael". Und genau von dieser Sendung hat der Eurovision Song Contest manchmal eine ganze Menge.



Poll: Sieben Cocktails wurden mittlerweile ausgeschenkt, sechs habe ich noch auf der Karte. Für kommenden Samstag könnt ihr nun wieder für folgende Mottos abstimmen: "Quattro Stagioni", "Alpha & Omega", "Fashion Queen", "Silver Convention", "Vintage Week" und "Shamrock". Zur Abstimmung hier entlang.