Sonntag, 29. Mai 2016

Eurovision am Sonntag (43)



Europa - Auf den Tag genau vor sechs Jahren siegte Lena Meyer-Landrut beim Eurovision Song Contest, das Wetter war damals, zumindest in Hamburg und Umgebung besser. Es war einer dieser Momente an den man sich immer erinnern wird, wie beim 7:1 gegen Brasilien bei der letzten WM oder an den 11. September, diese Momente, in denen irgendetwas in den Medien passiert, das bleibende Wirkung hinterlässt. Ich weiß noch, wie ich bei Freunden auf dem Sofa saß und die Welt nicht mehr verstanden habe. In meine Deutschlandfahne eingehüllt saß ich da und folgte Peter Urbans irritierten Ausführungen, dass wir aus allen Teilen Europas Punkte kassierten. Es war ein denkwürdiger, schöner aber auch seltsamer Tag. 

Hier ging 2010 alles los:
"Unser Star für Oslo"
Dies alles ist nun sechs Jahr her und wir stehen inzwischen vor einem Scherbenhaufen, wie bereits damals, bevor Lena uns vertreten hat. Die kleine Newcomerin aus Hannover, wurde nur wenige Wochen zuvor von Stefan Raab und seinem Team entdeckt. Mit einer ganz eigenen Castingshow, die damals wirklich nur für den Eurovision Song Contest gedacht war. Primär ging es darum, dass Deutschland die schlechten Platzierungen abschüttelt, die die No Angels und die interne Auswahl von Oscar Loya in den Jahren zuvor mit sich brachten. Stefan Raab persönlich war der Mann hinter dem Konzept von "Unser Star für Oslo". 2010 stimmte alles, von der Auswahl bis hin zu den Punkten aus ganz Europa. 

Ein ähnliches Konzept haben die Israelis mittlerweile übernommen. "Hakochav haba" ist eine Castingshow, in der die Interpreten mehrere Runden durchlaufen und sich so beim Publikum einprägen, es entstehen Fanlager und das ganze Land ist dabei beteiligt, den besten Interpreten für den Eurovision Song Contest zu ermitteln. Das Fazit bislang waren zwei Finalteilnahmen. In Deutschland hingegen gibt es den klassischen Vorentscheid, etwa zehn Kandidaten singen um die Gunst des Publikums. Der vermeintlich Beste darf zur internationalen Konkurrenz fahren.

Gänsehaut in ganz Deutschland:
Lena hat den ESC gewonnen
Seitdem die Allianz mit ProSieben beendet wurde und die Entscheidungsgewalt in andere Hände übergegangen ist, sackten auch die Platzierungen Deutschlands ab. Gab es früher eine Rundum-Berichterstattung, im Programm der ARD, im Radio und nicht zuletzt mit "TV total" vor der Eurovision und später aus Oslo, so gibt es heute vielleicht noch einen kurzen Sofabesuch des Interpreten bei "DAS!" oder "Brisant" und einen Mentor wie Bürger Lars Dietrich, der sich um den Künstler kümmert, jedoch sonst keine Funktion erfüllt. Deutschland muss, was den Song Contest betrifft, aus eigener Kraft den Hintern hochbekommen.

Das haben die Österreicher geschafft, 2014 siegten sie mit Conchita, das schaffen die Schweden Jahr für Jahr, das gelingt auch den Ungarn, den Niederländern und den Letten. Viele Nationen haben vorgemacht, wie man mit Herzblut und Einsatz die Ergebnisse beim Eurovision Song Contest wieder pushen kann. An solchen Ergebnissen sollte sich der NDR ein Beispiel nehmen. Jetzt wo Stefan Raab nicht mehr zur Verfügung steht, muss man vielleicht andere Wege gehen, um etwas zu reißen. So ist das bei vielen Dingen im Leben, irgendwann funktioniert eine alte Methode nicht mehr, dann muss man versuchen mit neuem Stil frischen Wind hineinzubringen. Sei es nun in einer Beziehung, in einem Großraumbüro oder dem größten Musikwettbewerb der Welt.

Auch die EBU entwickelt das Konzept des Eurovision Song Contests immer weiter. Im Nachkriegseuropa der 50er Jahre wollte man Europa musikalisch zusammenbringen und das Medium des Fernsehens populär machen. Beides entwickelte sich immer weiter, Griechenland und die Türkei waren gemeinsam dabei, später die Nachfolgestaaten Jugoslawiens und auch Armenien und Aserbaidschan treten in einer Show auf. Dazu kam der technische Fortschritt. Gab es früher nur ein starres Bühnenbild gibt es heute über 50 Kameras, die jeden Effekt auf den LEDs, dem Bühnenboden oder die mitgebrachten Videowände einfangen können. Es braucht gar nicht diese Dimension für einen deutschen Vorentscheid, es braucht nur eine handvoll Menschen, die sich gewissenhaft mit den Vorbereitungen beschäftigen.

2016 immer noch dabei:
Lena Meyer-Landrut
Hätte Lena 2010 nicht online nach Eintrittskarten für "TV total" geschaut, wäre sie nie beim deutschen Vorentscheid für Oslo gelandet. Das Märchen von Oslo hätte es unter Umständen nie gegeben. Neben ein bisschen Glück, dass der richtige, charismatische Interpret dabei ist, braucht es aber auch ein ausgereiftes System, das nicht nur auf den deutschen Markt abzielt, sondern vor allem einen Beitrag, der Europa gefällt. Wie in jedem anderen Land auch, denken die Zuschauer im Televoting zunächst an ihre persönlichen Favoriten, ich habe 2005 auch mehrfach für Gracia angerufen und habe mich gefreut, dass sie in Kiew dabei war, weil ich sie mochte. Aber im Sinne des Wettkampfes war es nicht, vielleicht hätte eine Mia Aegerter oder auch ein Duo Süßmilch & Mathias in Kiew mehr gerissen...

2017 wird der Eurovision Song Contest wieder in die Ukraine zurückkehren, an den Ort, wo damals das Fiasko der deutschen Platzierungen so richtig ins Rollen kam, damit möchte ich nicht die Leistungen von Texas Lightning oder Roger Cicero schmälern, aber auch das waren wieder die Lieblinge des deutschen Geschmacks, mit denen Europa wenig anfangen konnte. Es ist einfach, kluge Ratschläge zu geben und auf das zurückzublicken, was vor Jahren einmal erfolgreich war, es bedarf vor allem aber einer gemeinsamen Idee, wie man in Zukunft wieder auf Erfolgskurs kommt. Ob es aus eigener Kraft gelingt oder man sich fremde Hilfe holt, ist erst einmal nebensächlich, was zählt, ist die Bereitschaft, alte und neue Rezepte zu verbinden. Dann klappt es auch in der Beziehung, im Großraumbüro und beim Eurovision Song Contest.