Montag, 28. März 2016

Kommentar: Darf man oder darf man nicht?



Russland - Ein Thema, das in Eurovisionsforen momentan zur Sprache kommt ist die Frage "Ist der russische Beitrag 2016 wählbar?". Sergey Lazarev und sein Team haben mit "You are the only one" einen der besten und stärksten Titel im Rennen und führen auch bei den internationalen Wettquoten die Tabellen an. Ein Sieg Russlands ist nicht unwahrscheinlich, nicht nur, weil es immer noch Satellitenstaaten gibt, die aus Prinzip für Russland stimmen sondern auch, weil der Titel in einer besonderen Liga spielt.

Für Russland 2016 am Start:
Sergey Lazarev
Nicht nur bei den im Ausland lebenden Russen wird der Song sehr gut ankommen, er ist catchy und überzeugt auch mich mit Stärke und einem Sänger, der seit Jahren für seine Tätigkeit auf der Bühne lebt. Ob es nun der Topfavorit der Juroren sein wird, sei dahingestellt, bei den Zuschauern wird das Lied aber einiges herausreißen. Und somit kann man am 14. Mai durchaus Grund zur Annahme haben, dass der Pokal nach Moskau oder St. Petersburg geht.

Andererseits werfen Eurovisionfans die Frage auf, ob angesichts der Außenpolitik Russlands, der irren Gesetzeslage bezüglich Homosexualität oder sonstiger Minderheiten ein Anruf für Russland überhaupt in Frage kommt. Betrachtet man das Ganze ähnlich wie die EBU objektiv, müsste die Antwort "Ja" lauten. Der Wettbewerb hat den Zusatz unpolitisch zu sein, zwar halten sich die wenigsten dran oder verstecken es in getarnten Botschaften, wie die Ukraine heuer in ihrem Titel "1944", andererseits, dürfte ein Sieg Russlands die Frage aufwerfen, ob man im kommenden Jahr vor Ort dabei sein sollte.

Theoretisch stellt sich diese Frage aber nur für einen Bruchteil der Zuschauer, rund 200 Millionen Menschen sehen alljährlich das Event vom heimischen Sofa aus, egal ob der Wettbewerb nun in Stockholm, Wien, Kopenhagen oder Belgrad stattfindet. Die Show bleibt die Gleiche, der Eurovision Song Contest. Skrupel gab es 2008, der Kosovo hatte sich einseitig losgelöst, wie groß sei die Gefahr von Ausschreitungen, 2012 in Baku ging es um Meinungs- und Pressefreiheit, jeweils fanden großartige Show statt. Diese Chance sollte man auch Russland einräumen, würde Sergey den Wettbewerb in Schweden für sich entscheiden.

Wladimir Putin ließ sich
2009 bei den Proben blicken
In diesen Zeiten, in der die ganze Welt verrückt spielt, man glaubt an der eigenen Bushaltestelle vor Terroranschlägen nicht sicher zu sein, täglich Meldungen über den Rechtsruck in deutschen Landtagen und Flüchtlingsströme die Runde machen, bleibt der Song Contest nahezu als einziger Faden, an dem sich ganz Europa einheitlich zusammenfindet und sich 3,5h einfach selbst feiert und am Ende den Gewinner. Die Sicherheitsvorkehrungen der Zuschauer werden in Moskau die gleichen sein, wie in Paris, Athen, Oslo oder Warschau. Man kann der Europäischen Rundfunkunion vieles ankreiden, aber nicht, dass sie nicht immer die höchsten Standards gewährleistet.

Mir persönlich soll es recht sein, wenn Russland gewinnt. Ob der Wettbewerb 2017 dann wieder zu einer Demonstration von Macht und Reichtum wird, wie es 2009 der Fall war, bleibt spekulativ. Dann kann man immer noch schimpfen. Aber zunächst einmal geht es darum, das Lied zu finden, dass Europa für einen rechtmäßigen Nachfolger von Måns Zelmerlöw hält. Und Sergey Lazarev und das russische Fernsehen können nun einmal nichts dafür, dass sie in den Quoten oben liegen. Wer ein starkes Gesamtpaket hat, soll auch siegen dürfen. Mir ist das lieber als ein weißrussischer Beitrag, der PR durch angebliche Pläne nackt aufzutreten macht. Möge der Beste gewinnen, im Zweifel für den Angeklagten!