Sonntag, 30. Mai 2010

Eurovision 2010: Ein Rückblick auf's Finale


Norwegen - Das Ergebnis ist ja hinreichend bekannt, Lena Meyer-Landrut hat den Eurovision Song Contest nach 28 Jahren zurück nach Deutschland geholt. Doch nicht nur unsere drei Minuten Auftritt sollen hier noch einmal erläutert werden, sondern auch alle anderen 24 Nationen, die gestern Abend um Punkte sangen.

Eröffnet wurde der Eurovision Song Contest von Safura, der aserbaidschanischen Sängerin, deren Produzenten sich den Ausflug zum Song Contest einiges haben kosten lassen. Wirklich belohnt wurde der Auftritt der teils schwächelnden Safura aber nicht, Platz fünf dürfte hinter den Erwartungen der aserbaidschanischen Delegation liegen. Es wirkte einfach zu hektisch.

Das hat es beim Song Contest auch seit Jahrzehnten nicht mehr gegeben: während der Darbietung des zweiten Sängers Daniel Diges aus Spanien lief ein bekannter Aktionist namens Jimmy Jump, der bereits bei der Fußball-EM 2004 auf das Spielfeld stürmte, auf die Bühne und posierte, bis er von Security-Kräften nach unten dirigiert wurde. Diges ließ sich nichts anmerken, die spanische Truppe setzte ihren Auftritt souverän fort, erhielt jedoch die Chance nach dem regulären Programm noch einmal als letzter Act vorzutragen. Am Ende reichte es für das wunderbare "Algo pequeñito" für Rang 15.

Die Gastgeber hätten sich vermutlich auch mehr erhofft, als einen 20. Platz... doch Didrik Solli-Tangen schien am Finalabend nicht seinen besten Auftritt erwischt zu haben, da war doch viel Schiefes dabei. Auch den norwegischen Fernsehen dürfte ein Stein vom Herzen gefallen sein, den Contest kein zweites Mal in Folge ausrichten zu müssen. Ein Lob an die tollen Gastgeber folgt später noch. Noch zwei Plätze dahinter landete das SunStroke Project aus Moldawien mit seiner Sängerin Olia Tira, die auch nicht wirklich mit dem Sänger harmonierte.

Dass Josh Dubovie aus Großbritannien, so süß ich ihn ja auch finde, zielstrebig auf den letzten Platz zusteuert, war eigentlich vorherzusehen, wenig beeindruckend das Lied, die Show hatte auch mehr No Angels-Charakter und das smarte Dauerlächeln von Josh riss da auch nichts mehr... im nächsten Jahr also wieder etwas Neues, liebe Briten. Knapp darüber und nur aufgrund der Freunde aus Osteuropa überhaupt Vorletzter geworden: Weißrussland. Auch die Darbietung der "letzten waschechten Diktatur Europas", um Raab zu zitieren, klang derart schief, dass jeder der 18 Punkte zu viel ist.

Eine der größten Enttäuschungen, sowohl für mich, als auch für sie, der 23. Platz der irischen Sängerin Niamh Kavanagh. 1993 stand sie dort, wo heuer Lena steht, nämlich auf dem Treppchen, heute dann der Fall der Mitfavoritin auf einen Top 10-Platz. Gerüchten zufolge soll Niamh auf Partys und Pressekonferenzen zu ausgelassen geredet und gefeiert haben, wodurch die Stimme litt. Weshalb Europa ihren tollen Song nicht erhört hat, man wird es nie erfahren...

Trotz aller Juryneuregelungen und Diaspora-Eindämmungen: ganz lässt sich die Sympathiebewertung natürlich nicht eindämmen. Das erkennt man nicht allein am 12er-Austausch von Griechenland und Zypern, sondern auch an den Platzierungen der Kaukasusnationen, die allesamt die Top 10 knackten, Georgien mit Rang neun sogar noch das Schlechteste, Russland und der Ukraine. Auch auf dem Balkan gab es einige Demonstationen von Zusammenhalt, wenngleich überhaupt nur der androgyne Milan Stanković und der bosnische Sänger Vukašin Brajić im Finale dabei waren. Sie landeten allerdings unter den Erwartungen auf Platz 13 bzw. 17 im Mittelfeld.

Umso schöner, dass Europa scheinbar auf Singer/Songwriter-Melodien steht und den Belgier Tom Dice, der immer brav mit seiner Gitarre auf der Bühne stand und im Greenroom fröhlich mit seiner Fahne in die Kamera winkte, insgesamt mit 143 Punkten belohnte. Zeitweise sah es sogar nach einem engen Rennen zwischen Lena und ihm aus. Am Ende wurde es ein anständiger sechster Platz und der erste große Erfolg seit Urban Trad im Jahr 2003.

Die Langweilerlieder aus Portugal und Israel, das seiner Favoritenrolle dann doch nicht gerecht werden konnte, platzierten sich ebenfalls im Mittelfeld, Filipa Azevedo, die im Halbfinale noch Vierte wurde, schaffte den 18. Rang, knapp über der isländischen Sängerin Hera Björk, der man vorsichtshalber einen qualmenden Vulkan in den Greenroom gestellt hatte, damit sie sich wie zu Hause fühlt und Harel Ska'at auf Rang 14.

Überhaupt waren die Moderatoren, an dieser Stelle angemerkt, wirklich großartig. Erik Solbakken, Haddy N'jie und Nadia Hasnaoui machten Späße, unterhielten das Publikum, hielten Smalltalk mit den Künstlern und vergaßen dabei nicht, was für ein Event man auszutragen hatte. Die drei waren erfrischend positiv und nicht so überdreht, wie die Moderatoren vergangener Jahrgänge, etwa die Halbfinalmoderatoren aus Russland 2009. Großes Lob generell an die norwegischen Organisatoren. Auch der Pausenact mit dem Flashmob-Dance war eine großartige Idee und mal abseits der üblichen Folk- und Tanzgruppen, die sonst über die Bühne jagen.

Wer fehlt noch? Albanien, Juliana Pasha gehörte während der Probentage zu meinen Favoriten, die beiden Auftritte kreischte sie aber in ziemlich nervig klingender Tonart. Zudem erinnerte alles ein bisschen sehr an eine Light-Variante von Lady Gaga, somit auch nur Platz 16, ein Ergebnis, das sich im Rahmen der letzten albanischen Platzierungen befindet.

Der Franzose hat es gut gemacht, das befanden auch meine beiden, nicht eurovisionsfanatischen Freunde. Das Lied nahm einen mit, machte Stimmung und war im Teilnehmerfeld eine gute Abwechslung. Platz 12 ist ja für Frankreich auch nicht sooo schlecht, Jahrgänge wie 2005 bis 2007 scheinen da vergessen, allez! Darüber Peter Nalitch aus Russland, der aufpassen musste, dass die Windmaschine ihn nicht samt Bild von der Bühne weht.

Die Windmaschine war sowieso ein Instrument, dem sich in diesem Jahr so mache Nation bedient hat. Auch die auf Platz 4 liegenden Dänen Chanée & N'Evergreen hatten gegen Sturmböen von vorne zu kämpfen. Den abgrundtiefen Hass zwischeneinander hatte man offenbar zurückgestellt, die Darbietung zu "In a moment like this" wirkte insgesamt rund und am Ende gab's sogar ein kleines Küsschen der beiden.

13 Punkte mehr erhielten Paula Seling & Ovi mit ihrem feurigen Revival von "Rock bottom" am Doppelklavier. Das Duo überzeugte stimmlich und showtechnisch und stellte damit die bisherige Bestleistung von Luminita Anghel aus dem Jahr 2005 ein. Mit Energie, Feuer und Percussionbands, die auf Ölfässern flexen hat man beim Song Contest gute Karten.

Insbesondere das Flexen schien sich auch auf die Platzierung der Türkei auszuwirken. maNga, Preisträger der Europa Music Awards, gaben mir persönlich überhaupt nichts, aber wenn Europa 170 Punkte für "We could be the same" übrig hat und die Türkei auf Platz 2 wählt, auch das zweitbeste Ergebnis des Landes, muss schon etwas dabei gewesen sein. Der Nachbar Griechenland schaffte mit seiner "Opa"-Nummer den achten Platz, über die Finanzierung muss sich das griechische Fernsehen nun nicht den Kopf zerbrechen.

Der größte Applaus gebührt aber natürlich unserer Lena, die die ganze Woche in Oslo über einen frischen und sympathischen Eindruck machte, viel Zuspruch von Fans, Journalisten und anderen Künstlern (sogar Alexander Rybak himself) erhielt. Mit 76 Punkten Vorsprung stellte sie ihre Konkurrenz in den Schatten. Glauben konnte sie ihren Sieg, genau wie Mentor Stefan Raab, nicht. Nach ihrer Abschlussperformance wuselte sie über die Bühne: "Ich weiß gar nicht, wo ich hin soll. Ich quatsche einfach noch ein bisschen weiter."

In den nächsten Wochen und Monaten werden wir nun all die Fragen zu klären haben, die NRK und Norwegen nach ihrem Sieg zu klären hatten: wo soll der Contest stattfinden? Welche Halle ist dafür geeignet? Wer soll den Spaß moderieren? Wird Österreich wieder dabei sein? Wir bloggen natürlich weiter.

Svante Stockselius vor Beginn der Liveshow || Die aserbaidschanische Delegation nach ihrem Auftritt
Safura blieb hinter den Erwartungen zurück || Daniel Diges aus Spanien durfte noch einmal singen
Wieder einmal viel Kitsch aus Osteuropa: Milan aus Serbien und die Schmetterlingsfrau aus Weißrussland
Niamh Kavanagh bei ihren drei Minuten für Irland || Opa! Stimmung und Pyrotechnik beim griechischen Auftritt
Rote Laterne für Josh aus Großbritannien || Sopho aus Georgien
Wurde nicht ganz zur Stadionhymne: Allez! || Paula und Ovi aus Rumänien fackeln ihr Klavier ab
Seit 00:15 Uhr meine neue Heldin: Lena Meyer-Landrut und ihre Backings
Stößchen: die britischen Inseln vertreten durch Niamh und Josh landeten im hinteren Feld
Tom Dice und Alexander Rybak || Warten auf das Ergebnis im deutschen Lager
Weitere Bilder vom Finale folgen in Kürze